Spaniens Wähler sind nicht vor dem Terror in die Knie gegangen, sondern haben sich gegen das militärische Engagement Aznars im Irak entschieden. Eine Replik auf Tobias Kaufmann (Standard, 20. 3.).

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Tobias Kaufmann ist freier Journalist in Berlin, berichtet - so seine Homepage - für die Berliner Zeitung regelmäßig über den Fußballklub der Zweiten Liga SV Babelsberg 03 und die Bundesliga-Frauenmannschaft vom 1. FFC Turbine Potsdam und er ist Mitglied des publizistischen Netzwerks "Die Achse des Guten", dem auch, als prominenteres Mitglied, der "Amerikanski" (siehe www.amerikanski.de) Henryk M. Broder angehört.

"Die Achse des Guten" erinnert wohl nicht zufällig an die USA und ihre Verbündeten gegen Saddam Hussein, zu denen Spanien nach der Abwahl des Partido Popular und dem angekündigten Rückzug der Soldaten aus dem Irak nicht mehr so sehr gehört, wie es sich eigentlich gehören würde. Kaufmann wäscht Spanien daher den Kopf. Das bietet Gelegenheit, sich mit jenen Argumenten auseinander zu setzen, die spanische Wähler zu Feiglingen stempeln, welche vor Terroristen in die Knie gegangen seien, und den Wahlsieger Zapatero zu einem Populisten, dem die Verteidigung der westlichen Welt egal ist, solange er nur zu Hause die Meinung des Pöbels hinter sich weiß.

Schon die Grundannahme dieser Vorwürfe ist falsch. Die Annahme nämlich, im Irak werde, wie in Afghanistan, Al-Kaida erfolgreich bekämpft. Im Gegenteil: Die Beseitigung Saddam Husseins und seines Regimes, an sich eine begrüßenswerte Tat, hat ein Chaos nach sich gezogen, das den Irak für Al-Kaida als Operationsbasis überhaupt erst öffnete. Dieses von täglichen Anschlägen gegen die irakische Bevölkerung geprägte Chaos in der Folge der US-Besetzung hat das Feinbild USA und den Rückhalt von Al-Kaida in der muslimischen Welt eher verstärkt als geschwächt.

Mit Recht gibt es daher (unabhängig von den völkerrechtlichen Überlegungen vor einem Jahr) zwischen Afghanistan und dem Irak einen Unterschied in der Bereitschaft europäischer Staaten zur Kooperation mit dem Pentagon. Zapatero hat aber auch nicht den unbedingten Rückzug des spanischen Truppenkontingents aus dem Irak angekündigt, sondern vielmehr seinen Verbleib davon abhängig gemacht, dass die Präsenz der ausländischen Truppen durch eine Resolution der Vereinten Nationen legitimiert wird.

Ein Sprecher des US State Department, Adam Ereli, hält diese Resolution durchaus für möglich. Nur notorische Verächter der Vereinten Nationen können solche Aussichten, so vage sie sein mögen, missbilligen. Dass Aznar die Ablehnung der Mehrheit der Spanier vor einem Jahr ignorierte und der US-Koalition zur militärischen Intervention im Irak beitrat, wird nicht nur von Kaufmann für richtig gehalten, auch z. B. die Neue Zürcher Zeitung, also ein führendes Blatt aus dem Mutterland der Volksentscheide, würdigte die Widerstandskraft der alten Regierung gegenüber dem irrenden Volk.

Greifbarer Sieg

Nun gut, das Wesen der westlichen Demokratie besteht bekanntlich nicht darin, dass alle mitregieren, sondern in der Möglichkeit, eine Regierung abzuwählen. Aber nun, da das geschehen ist, wie Kaufmann zu behaupten, die Niederlage der Konservativen hätte nichts mit der volksfremden Politik Aznars zu tun, geht an der Wirklichkeit vorbei. Kaufmann tischt zu diesem Zweck die Geschichte der Umfragen auf, die ausnahmslos den Konservativen bis zum Terroranschlag in Madrid eine sichere Mehrheit versprochen hätten.

Doch das ist so falsch, wie die Rede vom "dämlichen Kurswechsel" Zapateros. Denn der bedingte Rückzug aus dem Irak war stets Teil des Wahlprogramms des PSOE. Und der Vorsprung des PP gegenüber den Sozialisten verringerte sich wohl auch aufgrund dieses Wahlprogramms in den Wochen vor der Wahl deutlich und war aufgrund einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Noxa, die in der spanischen Zeitung Vanguardia am 7. März veröffentlicht wurde, bereits auf wenig signifikante 2,5 Prozent geschrumpft.

Eine neuerliche Umfrage am 10. März, die wegen des Attentats am nächsten Tag gestoppt wurde, ergab bereits eine hauchdünne Mehrheit von etwas weniger als zwei Prozent für den PSOE. Das heißt natürlich nicht, dass Zapatero den Sieg schon vor den Attentaten in der Tasche hatte. Aber er war bereits greifbar. Diese Entwicklung erklärt vielleicht auch die ansonsten schwer verständliche Panikreaktion Aznars, die Öffentlichkeit durch plumpe Manipulationsversuche über die Hintergründe zumindest bis zum Wahltag zu täuschen.

Ob es Kaufmann hören will oder nicht: Die Spanier waren von Anfang an mehrheitlich gegen ein militärisches Engagement im Irak ohne UNO. Der 14. März war die erste legitime Gelegenheit, dieses Engagement rückgängig zu machen. Nicht Al-Kaida, sondern Aznar selbst hat den drohenden knappen Wahlverlust in einen veritablen Absturz verwandelt. Die allenthalben bei konservativen Kommentatoren in den USA und Europa zu beobachtende Tendenz, den Spaniern jetzt eine die Terroristen ermunternde Appeasementpolitik zu unterstellen und Vergleiche mit Hitler, Chamberlain und dem Münchner Abkommen von 1938 hervorzuholen, ist ähnlich plump.

Zapatero hat an seinem Willen, den Terrorismus zu bekämpfen, keinen Zweifel gelassen. Dass er dabei ungeeignete gegen geeignete Mittel austauschen will, sollte man ihm nicht verübeln. Doch das passt jenen, die an den American Way of War glauben, nicht in den Kram. Deshalb sind sie auch Romano Prodi böse, der in einem Interview für La Stampa (15. 3.) die US-Rezepte nicht für richtig hält.

Prodi plädiert dort für ein vielfältiges Instrumentarium, um die Bürger aus der Furcht (vor dem Terror) herauszuführen: mit Mitteln der Politik und nicht nur der Gewalt. In den einschlägigen Zitaten wird daraus prompt ein Verzicht auf Gewalt gegen Terrorismus. Roland Flamini von The Washington Times (17. 3.) zitiert einen spanischen Beamten: "Die Bomben der Al-Kaida hatten sicher einen Einfluss auf das Wahlergebnis. Aber nicht Al-Kaida gewann die Wahl, sondern Bush verlor sie." Das wird wohl der wahre Grund für die Aufregung der Amerikanskis sein. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23.3.2004)