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Foto: EPA/Bagus Indahono
Auf Basis welcher Kriterien fällen Investoren ihre Anlageentscheide? Handelt es sich, wie es das der traditionellen Wirtschaftstheorie zu Grunde liegende Modell des homo öconomicus postuliert, um eine rein rationale Abwägung von Kosten und Nutzen eines Entscheids? Oder spielen psychologische Faktoren die Hauptrolle, wie dies die Anhänger der Behavorial Finance vertreten, oder sind es doch die vielschichtigen Modelle der sogenannten Chartisten, die den Anlageton und damit das Urteil über Kaufen, Halten oder Verkaufen bestimmen?

Systematischer Anknüpfungspunkt

Gravitationspunkt der technischen Analyse ist die Meinung, dass sich an den Finanzmärkten systematisch Überrenditen erzielen lassen. Dies setzt voraus, dass die sogenannte Random-Walk-These nicht zutrifft, die Kapitalmärkte also nicht informationseffizient sind. Mit anderen Worten: Aus den historischen Kursverläufen können künftige Entwicklungen abgeleitet werden. Obgleich die Finanzmarkttheorie eine solche Ineffizienz zuweilen anzweifelt, sprechen vor allem die Praktiker eine andere Sprache. Sie können sich in dieser Effizienzdebatte unter anderem auf den empirisch nachgewiesenen "Momentum-Effekt" berufen. Demnach können Aktienwerte systematisch in Gewinner- und Verlierer-Portefeuilles aufgeteilt werden. "Überrenditen" lassen sich zudem erzielen, wenn Anleger geschickt das kollektive Fehlverhalten nutzen, wie es die junge Disziplin der Behavioral Finance beschreibt.

Behavioral Finance

Professor Daniel Kahneman hat massgebend dazu beigetragen, dass der Zweig der Behavioral Finance, der sich mit dem Seelenleben der Anleger befasst, gedeiht. Dafür wurde er im Jahr 2002 (zusammen mit Vernon Smith) für seine Leistung mit dem Nobelpreis der Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet. Gewürdigt wurde der Professor für seine "Integration von Einsichten aus der psychologischen Forschung in die Wirtschaftswissenschaften, vor allem hinsichtlich des menschlichen Urteils und der Entscheidungsfällung unter Unsicherheit". Behavorial Finance versucht die Stärken und Schwächen der Anleger aufzuspüren. Eine zentrale Erkenntnis lautet hier: Investoren neigen leider dazu, Buchverluste in Aktien nicht wahrhaben zu wollen und sie lieber "auszusitzen", statt die Titel rasch und konsequent zu verkaufen und sich damit noch grössere Verluste zu ersparen.

Chartisten im Vormarsch

Elliott-Wellen-Prinzip, Fibonacci-Folge, goldenes Verhältnis oder 50-Tage-Linie: Solche und weitere Begriffe der technischen Analyse zur Vorhersage von Kursbewegungen von Aktien, Bonds oder Derivaten sind für nicht Eingeweihte Fachchinesisch. Dies erstaunt insofern, als die Ursprünge der kurz auch als technische Analyse bezeichneten Methode ins 19. Jahrhundert zurückreichen. Damals hatte Charles H. Dow, der Mitbegründer des "Wall Street Journal", erkannt, dass es am Aktienmarkt zu bestimmten wellenförmigen Wiederholungen kommt. Im 20. Jahrhundert entwickelten sich daraus zahlreiche Strömungen, darunter der von Ralph Nelson Elliott Ende der dreissiger Jahre entwickelte gleichnamige Wellenzyklus, ein Prinzip zur formalen Beschreibung menschlichen Kollektivverhaltens. Mittlerweile werden die Verfahren gemeinhin eingeteilt in die Charttechnik, die einzig Kursverläufe unter die Lupe nimmt, und die Markttechnik, bei der zusätzlich andere Grössen wie das Handelsvolumen betrachtet werden.

Praxis verdeutlicht Unterschiedliches

Wenn also das Abstellen auf historische Kurse a priori vernünftig scheint, drängt sich umso mehr die Frage auf, wie die technische Analyse im Praxistest abschneidet. Einen ernüchternden Befund liefert dazu eine Studie der Universität Augsburg. Die im Schweizer Magazin "Financial Markets und Portfolio Management" veröffentlichten Ergebnisse zeigen, dass die ab Mitte der neunziger Jahre gemachten technischen Empfehlungen vereinzelter (deutschen) Börsenzeitschriften den Markt keineswegs zu schlagen vermochten. Ein positiveres Bild zeichnen hingegen amerikanische Untersuchungen, die sich auf längere Zeiträume abstützen. Solche Einzelresultate sind wohl auch deshalb widersprüchlich, weil vieles letztlich von den Zeichendeutern und dem ihnen eigenen Blick auf ihr Orakel abhängt.

Cogito, ergo sum ...

Hinsichtlich der psychologischen Auswirkungen auf das Anlegerverhalten ist gewissermassen jeder sein eigener Herr und Testbarometer, denn ausser dem prozyklischen Herdentrieb - kaufen, sobald die Kurse steigen und verkaufen, sobald sie fallen - sind keine empirischen Auswirkungen wirklich nachweisbar. Und letztlich hilft an den Finanzmärkten nicht die Trefferquote diverser fundamentaler, charttechnischer oder sonstiger Methoden, und auch nicht, ob (Aktien)Künstler oder Handwerker oder Nobelpreisträger am Werk sind, sondern einzig und allein die eigene Befähigung, Entscheidungen zu treffen - und dies ist schwer genug!