1960 wurde der gebürtige Wiener Hans Deutsch, ein engagierter Kämpfer für Wiedergutmachung, auf den Fall des ungarischen Zuckerbarons Ferenc Hatvany aufmerksam. Dessen spurlos verschwundene Sammlung bestand aus Gobelins, Münzen, Teppichen, Waffen - und mehr als 800 Kunstwerken von Cézanne, Corot, Monet, Manet, Courbet, Renoir, Degas, Pissarro wie auch von El Greco, Tizian und Tintoretto.

Als Anwalt der Erben konnte Deutsch, 1938 nach Israel geflohen und 1953 nach Deutschland gekommen, einen Wiedergutmachungsvergleich in Höhe von 35 Millionen Mark mit dem Finanzministerium aushandeln. Doch am 3. November 1964 - die Hälfte der Summe war bereits ausbezahlt worden - wurde Deutsch festgenommen. Denn die Staatsanwaltschaft vermutete einen Betrug: Die Bilder seien nicht, wie er behauptete, 1944 von der SS aus dem Hatvany-Palais in Budapest geraubt worden, sondern erst 1945 von der Roten Armee. Hans Deutsch habe wissentlich den deutschen Staat geschädigt. "Ein Jude als Betrüger - eine Sensation, die ins Weltbild vieler Wiedergutmachungsgegner passte", resümierte Burkhart List am 5. Juni 2001 in der Süddeutschen Zeitung.

Die Behörden stützten sich auf falsche Informationen von Gräfin Maria Magda Bethlen, einer ehemaligen Hatvany-Geliebten, die im Sacher logierte: Sie rächte sich an den Erben, die sie eher erfolglos zu erpressen versucht hatte, und ließ sich ihre Dienste von den Deutschen teuer bezahlen.

In Ungarn kaufte man um 200.000 Mark Dokumente an, die belegen sollten, dass die Hatvany-Gemälde bis 1945 in einer Bank in Budapest deponiert waren. Doch sie waren gefälscht. Zudem wurde SS-Hauptsturmführer Friedrich Wilcke, der in Budapest Quartiermeister der Waffen-SS-Generäle im Palais Hatvany gewesen war, zu einer falschen Zeugenaussage gezwungen.

19 Monate saß Deutsch in Untersuchungshaft. Der Prozess fand neun Jahre später, 1973, in Bonn statt. Deutsch wurde zwar freigesprochen, aber sein Ruf war ruiniert.

Der Hintergrund des Komplotts war klar: Vor Gericht musste Fritz Koppe, Leiter der Wiedergutmachungsabteilung, eingestehen, dass der Fall Deutsch der Bundesrepublik etwa zwei Milliarden Mark ersparte, weil man seit 1964 bei Zubilligung von Wiedergutmachung viel zurückhaltender geworden sei.

Die Ungeheuerlichkeiten kamen zwar ans Tageslicht, der Fall Hatvany hingegen und der Verbleib der Kunstwerke blieb mysteriös. Erst in den 90er-Jahren konnten die russischen Historiker Konstantin Akinsha und Grigorij Kozlov Dokumente in Ungarn und in Nischni Nowgorod ausgraben, die beweisen, dass die Hatvany-Sammlung tatsächlich 1944 von der SS konfisziert und nach Deutschland gebracht worden war.

1945 entdeckten Kampfeinheiten der 49. russischen Armee im Großraum Berlin einen Güterzug mit Kunstwerken aus ungarischen Privatsammlungen, darunter jene von Hatvany. Die Bilder, noch originalverpackt in SS-Kisten, wurden per Bahn nach Nischni Nowgorod geschickt. Die Hatvany-Sammlung war damals nicht mehr komplett: Auf den Transportlisten sind bloß 133 Kunstwerke verzeichnet. Mittlerweile weiß man auch, dass SS-Sturmbannführer Wilhelm Höttl aus dem Salzkammergut den Raubzug geleitet hat. Bis zu seinem Tod vor einigen Jahren hätte er, so der Journalist Burkhart List, wohlhabend und unbehelligt in Österreich gelebt. Hans Deutsch starb 96-jährig am 13. Mai 2002 in Lausanne. (DER STANDARD, Printausgabe, 1.4.2004)