Im Juni tritt Erki Nool als Spitzenkandidat der konservativen "Vaterlandsunion" bei den Wahlen zum Europäischen Parlament an.

der Standard: Wie fit ist Estland für Europa?

Erki Nool: Um unsere Wirtschaft war es schon 1991, beim Zerfall der Sowjetunion, recht gut bestellt. Estland war immer ein wenig anders. Und damals sind sehr junge Politiker an die Macht gekommen, diese Politiker hatten keinen kommunistischen Background, dafür hatten sie viele Visionen. So konnte sehr rasch etwas weitergehen. In anderen Ländern hat es diesen Wechsel nicht gegeben, da sind die alten Kräfte am Ruder geblieben.

Standard: Sie selbst sind noch zu UdSSR-Zeiten groß geworden. Wie schwierig war die Umstellung für Sie und Ihre Landsleute?

Erki Nool: Meine Schulzeit hab' ich tatsächlich noch quasi in der Sowjetunion absolviert. Aber ich war nie in einem russischen Team, ich bin kein russisches Produkt, und darüber bin ich glücklich. Der Wechsel damals war eine schöne Zeit, aber natürlich hatten beispielsweise viele alte Menschen auch Probleme, alleine schon mit der neuen, anderen Währung. Aber 1991 gab es in den Geschäften keine Lebensmittel, jetzt ist alles da, und die Geschäfte haben bis 21 oder 22 Uhr geöffnet. Zwischen Tallinn und den ländlichen Gegenden gibt es schon merkbare Unterschiede, aber es wird auch am Land investiert.

Standard: Die Esten gelten als sehr stolz und eigenständig. Woher rühren diese Attribute?

Erki Nool: Wir standen dem Rest der Welt traditionell offener gegenüber als die Russen. Allein die Sprachen sind sehr verschieden, und in Estland konnte man immer das finnische Fernsehen empfangen. Wir haben unsere eigene Tradition, vor allem im kulturellen Bereich. Die Esten verweisen seit jeher darauf, die besten Sänger und die besten Tänzer zu sein. Alle vier Jahre findet ein großes Festival für Sänger statt, das hat beinah den Stellenwert von Olympischen Spielen.

Standard: Sie sind bei den Wahlen zum Europäischen Parlament der Spitzenkandidat einer konservativen Partei. Steht demnächst Ihr sportlicher Rücktritt bevor? Was wollen Sie in der Politik erreichen?.

Erki Nool: Ich trage mich mit dem Gedanken, meine Karriere in absehbarer Zeit zu beenden. Für Politik interessiere ich mich von klein auf, vor einem halben Jahr bin ich der "Vaterlandsunion" beigetreten. Ich finde, der Prozess des Regierens sollte möglichst direkt ablaufen, es dürfte nicht so viele Verzögerungen geben. Dafür würd' ich mich auch auf europäischer Ebene einsetzen. Für Estland ist das Thema Sicherheit ein wichtiger Punkt. Auch deswegen freuen wir uns auf den Beitritt - weil wir hoffen, dass uns die EU hilft, unsere Situation am Rande der Union sicherer zu gestalten.

Standard: Welchen Stellenwert hat der Sport in Estland? Sie selbst genießen ungeheure Popularität, was machen Sie daraus?

Erki Nool: Sport ist bei uns enorm wichtig, genießt auch in den Schulen einen hohen Stellenwert. Ich habe vor kurzem, vor der letzten Weltmeisterschaft, ein paar Tage lang in Wien trainiert, deshalb glaube ich sagen zu können, dass es zum Beispiel um Talente in der Leichtathletik in Tallinn besser bestellt ist. In Wien gibt es das Dusika-Stadion, und dort trifft man kaum Kinder beim Training. In Tallinn, das nur 500.000 Einwohner hat, gibt es drei solche Hallen, die sind von früh bis spät gesteckt voll. Wo werden die Kinder ihre Energie los, wenn nicht im Sport? Ich selbst habe eine Leichtathletikschule gegründet, 250 Kinder und Jugendliche werden von fünf Trainern betreut. Jetzt denke ich mit einem Freund, dem Fußballgoalie Mart Poom, darüber nach, eine ähnliche Schule für Fußballer aufzubauen. Spitzensportler haben die Chance, etwas zurückzugeben. Diese Chance sollte man nützen.

Bis 1. Mai betrachtet der Standard -Sport in loser Folge die Beitrittsländer aus einem speziellen Blickwinkel. Sei's mit einem Interview, sei's mit einer Reportage oder einem Hintergrundbericht.