Bild nicht mehr verfügbar.

Reuters/ANDREA COMAS

Bild nicht mehr verfügbar.

A uf der Ebene der symbolischen Kriegsführung war der Denkmalsturm von Bagdad nur der Anfang vom Ende des irakischen Regimes. Es folgten Bilder der zerfetzten Leichen der Saddam-Söhne – und der Diktator höchstpersönlich.

APA/Norbert Schiller
Am 9. April 2003, gerade einmal drei Wochen nach Beginn des Irakkriegs, versammelten sich einige hundert Menschen auf dem Platz vor dem Hotel „Palestine“ in Bagdad, um sich, von Dutzenden Kameralinsen aufmerksam beäugt, an die Demontage einer 12 Meter Meter hohen Statue von Saddam Hussein zu machen. Das ganze Unternehmen erweckte nicht den Eindruck einer schwunghaft-heiteren Katharsis, mit der der böse Geist des irakischen Diktators ein für alle Mal ausgetrieben worden wäre, sondern es wirkte eher wie ein umständliches und zähfädiges Gezerre, bei dem die Figur auf dem Sockel den Denkmalstürmern unerwartet hartnäckigen Widerstand entgegensetzte.

Es bedurfte einiger Handreichungen durch ebenfalls auf dem Platz anwesende US-Soldaten (Drahtseil etc.), um den überlebensgroßen Saddam schließlich doch aus seiner Verankerung zu reißen und unter dem verhaltenen Hurra der Umstehenden durch den Staub von Bagdad zu schleifen. Zuvor hatte ihm noch ein GI eine amerikanische Flagge um den mächtigen Bronzeschädel gehängt, um die Demütigung perfekt zu machen.

Wieso viele Fernsehsender diese am Rande des politisch Kontraproduktiven entlang schrammende Szene stundenlang übertrugen? Nun, eben deshalb, weil wohl niemand das Risiko auf sich nehmen wollte, bei einem Akt von potenziell welthistorischer symbolischer Bedeutung abwesend zu sein. Es galt, einem Exorzismus der Bilder beizuwohnen, bei dem die eine Bildbatterie – die in das World Trade Center rasenden Terrorflugzeuge des 11. September 2001 – durch eine jüngere zerstört, vernichtet, dem Erdboden gleich gemacht werden sollte. Und Bilder aus dem Irak mussten es ja wohl sein, weil in der Darstellung der Bush-Regierung der Sturz des Saddam-Regimes nichts anderes gewesen war als die notwendige Konsequenz der Anschläge des 11. September.

Das Dreckloch Saddam Husseins

Auf der Ebene der symbolischen Kriegsführung war der Denkmalsturm von Bagdad nur der Anfang vom Ende des irakischen Regimes. Es folgten die zerfetzten und notdürftig wieder zusammengeflickten Leichen der Saddam-Söhne Udai und Kusai und schließlich Saddam père höchstpersönlich, wie er aus einem irakischen Dreckloch gezogen und vor den Augen der Weltöffentlichkeit von einem stoischen Militärarzt medizinisch erstversorgt wurde. In seiner sonderbaren Intimität bildete das Bild von Saddams sorgfältig ausgeleuchteter Mundhöhle einen bizarren Gegenpol zu den 9/11-Bildern mit ihren panischen Menschenmassen, dem Chaos, den meterhohen Staubwalzen, die durch die Straßen von Manhattan tobten.

Die Vorstellung, Kriegsberichterstattung sei die bloße Wiedergabe dessen, was eben so auf der Welt passiert, wird im Jahr 2004 in ihrer Naivität wahrscheinlich nicht einmal mehr von Schulkindern geteilt. Selbst sie dürften wissen, dass die Militärs im Fall des Falles immer bestrebt sind, mit allen erdenklichen Instrumentarien der psychologischen Kriegsführung („Psyop“) auf das Verhältnis zwischen der Wirklichkeit und ihrer medialen Repräsentation so Einfluss zu nehmen, dass den Zwecken der eigenen Seite am besten gedient ist. Tatsächlich nehmen Erwägungen, welcher Spielraum den Medien bei kriegerischen Auseinandersetzungen eingeräumt werden sollte, im Denken der Militärs breiten Raum ein und führen auch zu durchaus unterschiedlichen Ergebnissen.

Lenkungseffekt: "Eingebettete Journalisten"

Den abstrakten grünstichigen Bildern aus dem ersten Golfkrieg folgten die ungleich realistischeren aus dem Irakkrieg 2003, wobei freilich durch die neue Einrichtung des „eingebetteten Journalisten“ hinreichend Sorge für einen gewissen Lenkungseffekt getragen wurde. Den amerikanischen Militärs dürfte es auch sicher recht gewesen sein, dass der Sturz des Saddam- Denkmals sofort Assoziationen an die Szenen des Jahres 1989 erweckte, als in unzähligen Städten des ehemaligen Ostblocks Marx-, Lenin- und Ceaus¸escu-Denkmäler in Trümmer gingen. Dabei dürfen sie darauf vertrauen, dass die durch die CNN-Ästhetik konditionierten Massen von selbst wissen, wie man sich vor laufender Kamera zu benehmen hat.

Der Sturz des Saddam-Denkmals wirkte denn auch streckenweise so, als unterlägen die Darsteller einem historischen Wiederholungszwang, einem Bestreben, die altbekannten Szenen aus dem Ostblock originalgetreu nachzustellen, wobei allerdings einigermaßen Wesensfremdes – das Baath-Regime mit Ceaus¸escu, den Irak mit Russland, Rumänien oder der DDR – in ein und derselben denkmalstürmerischen Geste zusammengezwängt wurde. Die Vermählungen des Politischen und Militärischen mit dem Symbolischen sind so alt wie die Politik und das Kriegshandwerk selbst, und wenn man auf einer imaginären Zeitlinie in die Vergangenheit zurückgehen und sich auf die Suche machen würde, man würde überreiche Ernte einfahren: von den Lichtdomen der Nazis bis zurück zum Trojanischen Pferd.

Die Inszenierung des Historischen

Neu ist freilich, dass in einer avancierten Medienära die „Inszenierung“ des Historischen und Symbolischen einen immer größeren Stellenwert einnimmt. Unsentimentale politische Beobachter haben von allem Anfang an darauf hingewiesen, dass die Anzahl der Todesopfer, welche die Anschläge des 11. September gefordert haben, gemessen an anderen Tragödien, die sich tagaus, tagein auf der Erde abspielen, gering war und dass vor allem die symbolische Wucht der in das WTC einfahrenden Flugzeuge den 11. 9. 2001 zu einem einzigartigen Schreckensdatum gemacht hat.

In den ersten Tagen nach 9 / 11 wurden sofort Bestrebungen laut, symbolisch besonders hochwertige Angriffsziele vor neuem Terror zu schützen. Dazu zählten nicht nur Bauwerke wie die Golden Gate Bridge oder der Grand Canyon, sondern auch Nachrichtenmoderatoren oder Filmstars. Das war auch durchaus richtig gedacht. Ikonen wie Madonna oder Arnold Schwarzenegger stehen nicht nur für sich selbst, sondern sie sind Symbole, Kennzeichen, Verdichtungen eines politischen Weltentwurfes, einer Gesellschaftsform, eines way of life. Wenn die Massenmedien zu einem der potenziellen Hauptaustragungsorte der Kriege des 21. Jahrhunderts werden, dann könnte das durchaus zu einer menschenverachtenden terroristischen Eskalationslogik führen, bei der es darum geht, durch immer mehr Tote und immer grausamere Anschläge jenes Aufmerksamkeitsplus zu erzielen, nach dem sie streben.

Bushs Thanksgiving-Truthahn

Der Angriff auf „weiche Ziele“ spielt, wie das Beispiel Madrid gezeigt hat, im terroristischen Denken gewiss eine Rolle. Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Bestreben des Terroristen letztlich immer dahin geht, die wirklich großen Symbole westlicher Selbstdarstellung, seien das nun der Eiffelturm, Big Ben oder das Kapitol aufs Korn zu nehmen. Anders, als sich dies die Regierung Bush vielleicht gewünscht hätte, war der Denkmalsturm von Bagdad nicht der Schlussakt des Irakkrieges, sodass sich in der Folge weitere „Inszenierungen“ als nötig erwiesen.

Dazu zählt etwa George W. Bushs heimlicher Thanksgiving- Flug nach Bagdad, welcher allgemein als großer medialer Coup gepriesen wurde, aber auch sein martialischer Auftritt auf dem Flugzeugträger USS Abraham Lincoln. Allerdings hat gerade der letzte den Beleg dafür geliefert, dass eine Politik der Bilder manchmal auch schmerzlich an ihre Grenzen stößt. Denn erstens erwies sich Bushs Siegesansprache angesichts der weiteren Entwicklung im Irak als wenig substanziell. Und zweitens konnten Bushs Spindoktoren damals noch nicht ahnen, dass der Präsident seinen nächsten Wahlkampf ausgerechnet gegen einen verdienten Vietnam-Veteranen, den Senator John Kerry bestreiten müsste.

Aus diesem Grund und weil Bush selbst es mit seinem Militärdienst nicht so wirklich ernst genommen hat, wirkt sein Auftritt in Uniform nachträglich einigermaßen frivol: Meist siegen in der Politik die Bilder über die Wirklichkeit, aber manchmal ist es doch auch umgekehrt. (ALBUM DER STANDARD, Printausgabe, 03./04. 04. 2004)