Angesichts der (wirklichen) Geiseldramen überall auf der Welt ist es ziemlich geschmacklos, wenn der österreichische Innenminister Ernst Strasser davon spricht, die Caritas würde "Asylwerber als Geiseln nehmen". Mit dem Ziel, die Landeshauptleute unter Druck zu setzen. Denn die sind ab 1. Mai für die Unterbringung zuständig.

Mit dem Brief des katholischen Salzburger Bischofs Kothgasser und des evangelischen Bischofs Sturm an den Bundeskanzler erreicht der Konflikt jedoch einen vorläufigen Höhepunkt. Denn diese beiden Geistlichen wird Strasser schwer als "Geiselnehmer" oder auch nur als Populisten attackieren können. Außerdem würden sie sich nicht vor den Karren eines "brutalen" Caritas-Chefs spannen lassen. Es geht um viel mehr.

Sturm hat einen besonders schweren Vorwurf erhoben. "Die Republik", schrieb er, "kommt ihren Verpflichtungen nicht nach." Will heißen: Die Regierung Schüssel, die sich wie ihre Vorgänger stets mit Österreich als einem "vorbildlichen Flüchtlingsland" gebrüstet hatte, hat sich von dieser Vorbildrolle verabschiedet. Ausgerechnet unter einem Innenminister aus der "christlichen" Volkspartei.

In jüngsten Umfragen punktet Strasser mit seiner harten, mit christlicher Milde schwer vereinbaren Politik. Er macht Religion zu seiner Privatsache. Draußen vor der Kirchentür ist alles ganz anders, da dominieren Ruhe, Ordnung und Sicherheit. Auch wenn zig Flüchtlinge auf den Straßen stehen, die zu Ostern 2004 nicht viel Sonne abkriegen dürften. Während Caritas, Diakonie und Rotes Kreuz die Nöte der Obdachlosen sehen, kehrt der Minister den strengen Gesetzeshüter heraus. Er schiebt auch für später die Verantwortung an Landeshauptleute und Bürgermeister ab. Und riskiert eine Zunahme an Kriminalität unter den Asylwerbern.

Warum - nur zum Beispiel - setzen sich nicht mehrere Minister zwecks Lösung zusammen? Warum kann man nicht, für mehrere Wochen zum Beispiel, Kasernenteile in Flüchtlingsquartiere umfunktionieren? Pläne in diese Richtung wurden verworfen. Die Wahrheit nämlich ist: Flüchtlinge sind keine Wähler - je härter der Umgang mit ihnen, desto mehr Zustimmung aus fremdenfeindlichen Teilen der Bevölkerung.

Das von Vorurteilen und Kurzsicht dominierte Denken schadet nicht nur dem Wirtschaftsstandort Österreich, sondern auch der Kulturnation. Die Angst isst nicht nur die Seelen auf, sondern auch die Gehirne . . .

Es gibt mittlerweile genug internationale Studien, die nachweisen: Das Nachwuchsproblem in Europa ist durch mehr Geburten allein nicht zu lösen. Eine gezielte und gut geplante Ausländerpolitik gehören gleichrangig mit der

Lösung der Pensionsfrage zum Zukunftspanorama jeder Regierung. Das heißt, sich auch der Flüchtlinge mit Wohlwollen anzunehmen und dort wie überall eine Art Begabtenförderung zu versuchen.

Die Ideologie der Privatisierung verhindert einen solchen Zugang. Die letzten Monate haben gezeigt, dass die Übergabe von Traiskirchen an eine deutsche Firma gescheitert ist. Trotzdem scheint die Regierung davon nicht abzulassen.

Deshalb brauchen der Innenminister und der Wiener Caritas-Direktor keinen Mediator. Man will die kirchlichen Hilfsorganisationen nicht mehr - außer sie unterwerfen sich dem Diktat der Herrengasse. Und akzeptieren womöglich auch noch Polizeikameras in den Kirchen.

Natürlich wäre es unangebracht, alle Kritik auf den Minister zu richten. Die Bundesbetreuung gibt es immerhin. Gefordert sind Regierung, Länder und Gemeinden insgesamt. Erst kürzlich hat die Unicef Alarm geschlagen. Österreich werde im Zuge der EU-Erweiterung nicht nur mit Schlepperbanden und Drogenkurieren vermehrt zu tun haben. Bereits jetzt werden 120.000 Frauen und Kinder pro Jahr in die EU-Staaten verkauft.

Ein Polizeiminister ist da überfordert. Der Einsatz des Sozialministers ist gefragt. Der gehört zur FPÖ. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10./11./12.4.2004)