Wilhelm Miklas: Erst im Jahr 1938 wuchs der Bundespräsident über sich hinaus.

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Im Jahr 1928 wählte das österreichische Parlament - bei Stimmenthaltung der Sozialdemokraten, die keine Aussicht auf eine Mehrheit für ihren Kandidaten Karl Renner hatten - den 1872 in Krems geborenen christlichsozialen Abgeordneten Wilhelm Miklas als Nachfolger von Michael Hainisch zum Bundespräsidenten.

Die Verfassung von 1920 sah für das Staatsoberhaupt fast nur repräsentative Aufgaben vor. Das sollte anders werden, als die von Ignaz Seipel seit langem betriebene Verfassungsreform, die auf eine wesentliche Stärkung der Funktionen des Bundespräsidenten hinauslief (wobei der Prälat, damals wieder Bundeskanzler, dieses Amt für sich selbst im Auge hatte), 1929 in Kraft trat. Der Bundespräsident sollte künftig durch Volkswahl bestimmt werden; er erhielt u. a. das Recht auf Bestellung und Entlassung des Bundeskanzlers und der Regierung und auf Einberufung und zeitlich begrenzte Auflösung des Nationalrats.

Die Wiederwahl Miklas' im Jahr 1931 erfolgte dennoch wieder durch das Parlament. Noch konnte er nicht ahnen, dass sehr bald auf dem Prüfstand stehen würde, ob er wirklich der "starke Mann" war, der im Sinne seines Eids auf die demokratische Republik in den Gang der Ereignisse hätte eingreifen können.

Volkswahl verhindert

Vielleicht hätte ihm eine (durch Parteiintrigen verhinderte) Volkswahl mehr Autorität verschafft - so aber sah er sich, ein ewiger Zauderer, zwischen seiner Haltung als redlicher Konservativer, der Loyalität zu seiner Partei und seinem bedingungslosen Kirchenglauben hin- und hergerissen und vermied gegen seine innere Überzeugung von ihm verlangte Entscheidungen.

Die Furcht um seine mit einem Dutzend Kinder gesegnete Familie spielte dabei zweifellos eine Rolle - nicht nur einmal äußerte er in den spannungsgeladenen Monaten des "kalten Staatsstreichs" durch Dollfuß, dass man gegebenenfalls nicht zurückscheuen würde, auch ihn zu verhaften. Bezeichnend für das Naturell dieses Mannes sind die handgeschriebenen Zettel, die er in kritischen Situationen machte, und die erkennen lassen, dass er das Richtige wollte, aber nicht tat.

Miklas' Versagen zeigte sich folgenschwer in der Parlamentskrise von 1933. Er hätte sowohl durch das ihm 1929 eingeräumte Notverordnungsrecht oder durch Auflösung des Nationalrats und Ausschreibung von Neuwahlen eingreifen können. Das Demissionsangebot Dollfuß' in der Nacht vom 7. März nahm er nicht an. Weder Entschließungen des noch intakten Bundesrates noch die Argumente des Soziologen Ernst Karl Winter, noch die 1,2 Millionen Unterschriften, die die Opposition für die Wiedereinberufung des Nationalrats vorlegte, bewogen ihn zum Handeln. Als die Regierung dann den Verfassungsgerichtshof ausschaltete, war er empört und konstatierte auf seinen Zetteln, dass der Rechtsstaat nun zerstört sei. Das letzte Mittel, dass er zu dessen Wiederherstellung hätte anwenden können, war die Entlassung der Regierung. Er nutzte es nicht.

Im Februar 1934 äußerte er seine Ablehnung der Todesurteile, aber das Recht auf Begnadigung stand ihm nur zu, wenn Justizminister Schuschnigg sie beantragt hätte. Ebenso sah er ein Unrecht in der Absetzung von Wiens Bürgermeister Seitz - und vereidigte dennoch Richard Schmitz als Bundeskommissär. Er tat sich etwas darauf zugute, dass er die Maiverfassung vom Mai 1934 nicht unterschrieben hatte - beurkundete aber ein Zusatzgesetz dazu.

Um Starhemberg, der gerade in Italien war, zu verhindern, berief er nach Dollfuß' Ermordung sofort Schuschnigg als Regierungschef, obwohl dieser ihn getadelt hatte, dass er die Legitimität des Regimes bestreite. Erst im März 1938 wuchs er über sich hinaus, indem er sich weigerte, das Anschlussgesetz zu unterzeichnen. Unter Druck erklärte er sich schließlich für "moralisch verhindert", wodurch seine Funktionen auf den Eintagskanzler Arthur Seyß-Inquart übergingen. Hitler befriedigte diese Lösung, Miklas erhielt seine volle Pension weiter ausbezahlt. (Manfred Scheuch/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10./11. 4. 2004)