"Das Ohr aufwecken, die Augen, das menschliche Denken, die Intelligenz ... Das ist heute das Entscheidende" (Luigi Nono)

Sehr geehrter Gerard Mortier!

Die verkommende politische Kultur in Österreich hat es ermöglicht, dass nun der verheerende Schritt gesetzt wurde, einer dumpf-nationalistischen und menschenverachtenden Partei und ihrem Politgerülpse die Regierungsbühne zu überlassen.

Jeder, der noch über einen Funken politische Intelligenz verfügt, muss in dieser Situation seine Abscheu und seinen Widerstand gegen diese Regierungsform artikulieren. Ob Sie jedoch, sehr geehrter Gerard Mortier, mit der durchaus medienwirksamen Bekanntgabe Ihres frühzeitigen Abgangs ein adäquates oder gar brillantes Zeichen gesetzt haben, sei, ähnlich wie im Falle von Künstlern, die Österreich von nun an boykottieren wollen, einmal dahingestellt. Ist das wirklich alles, was der künstlerische Leiter der Salzburger Festspiele einer derartigen politischen Entwicklung als Beitrag entgegenzusetzen hat?

Ist es Ihnen nach zehn Jahren Intendanz in Salzburg nicht möglich, mit differenzierteren und intellektuell anspruchsvolleren Signalen einer Geisteshaltung entgegenzutreten, die auch vieles von dem, was Sie in den letzten Jahren an wesentlichen künstlerischen Beiträgen ermöglicht haben, gefährdet? Ist das alles, was von Ihren schönen Worten über die politische Sprengkraft und die gesellschaftliche Bedeutung von Kunst, von Ihren Vorstellungen, was Festspiele bewirken können, geblieben ist?

Wen wollen Sie mit Ihrer Entscheidung eigentlich ansprechen? Die Haider-Wähler interessieren sich ohnehin nicht für Sie, höchstens im Sinn von "Einer weniger!". Sind es die Menschen, die Ihr Programm und Ihre Ideen über all die Jahre mitgetragen und unterstützt haben?

Über 70 Prozent der Österreicher haben Jörg Haider nicht gewählt und eine noch höhere Anzahl von Wählern ist gegen diese durch Wählertäuschung und Missachtung aller demokratischen Prinzipien zustande gekommene, unsägliche Koalition zwischen "Christlich"-Bürgerlich und "Freiheitlich".

Dem "Naziland" Österreich als Künstler oder Kulturschaffender jetzt den Rücken zu kehren, mag zwar in der Öffentlichkeit eine gewisse Beachtung finden, bleibt aber in seinem inhaltlichen Anspruch eher bescheiden. Haben Sie so wenig Vertrauen in das, was Kunst ist, sein kann und sein muss: nämlich Widerstand gegen Erstarrung und Kleingeist, gegen Bevormundung und Unterdrückung?

Markus Hinterhäuser und Tomas Zierhofer-Kin, "ZeitflussFestival", Salzburg

P.S.: Nachdem der jetzige Bundes- und wohl ewige Vizekanzler Wolfgang Schüssel in der letzten Zeit gern einen Ausspruch Albert Einsteins verwendet, sei ihm und den ÖVP-Mitgliedern mit Albert Einstein geantwortet: "Um ein vollwertiges Mitglied einer Schafherde zu sein, muss man vor allem selbst ein Schaf sein."