Eriwan/Moskau - Viele politische Beobachter hatten von Anfang an davor gewarnt, in Armenien eine Rosenrevolution zu erwarten, wie sie in Georgien zum Rücktritt von Staatschef Eduard Schewardnadses geführt hat. Sie sollten Recht behalten. In den frühen Morgenstunden des Dienstag ließ Präsident Robert Kotscharian eine Demonstration in der Hauptstadt Eriwan gewaltsam auflösen. Unterschiedlichen Quellen zufolge wurden Dutzende, wenn nicht Hunderte Menschen verletzt, unter ihnen auch einige Polizisten. Zahlreiche Oppositionsvertreter wurden verhaftet, Demonstranten und Journalisten verprügelt, die Büros der Opposition gestürmt, verwüstet und versiegelt.

Seit 5. April organisierten die Parteien Ararutyun (Freiheit) und Partei der Nationalen Einheit (AMK) Massenkundgebungen. Verlangt werden entweder der Rücktritt Kotscharians oder zumindest die Einwilligung zu einer Vertrauensabstimmung, die vom Verfassungsgericht im Vorjahr empfohlen worden ist, nachdem zahlreiche Wahlfälschungen nach den Präsidentschaftswahlen auch von internationalen Wahlbeobachtern festgestellt worden waren. Nach Angaben der Opposition kam Kotscharian damals nur auf den dritten Platz.

Am Montag gingen rund 10.000 Armenier auf die Straße gegangen, vielen wurde die Zufahrt ins Zentrum von Eriwan verwehrt. Beim gewaltsamen Einschreiten der Polizei waren noch bis zu 3000 Demonstranten in der Innenstadt. Kotscharian warnte scharf vor weiteren Demonstrationen, die die Opposition angekündigt hat, und vor einer "Verblendung" durch das georgischen Beispiel.

Tatsächlich liegen die Verhältnisse in Armenien anders. Gemeinsam mit Schewardnadses Georgien sind nur die politische Krise und die mangelnde Legitimität der Staatsmacht. Im Unterschied zu Schewardnadse hält Kotscharian jedoch die volle Kontrolle über den Sicherheitsapparat. Weder Regierung noch Opposition sind zur Lösung der Krise bereit, zudem erschöpft sich das Programm der Opposition in Rücktrittsforderungen, ohne eine plausible Alternative anzubieten.

Zwar haben sich Armeniens Oppositionskräfte nun vereinigt, aber mit mehreren Anführern, wobei das Charisma selbst des populären Artashes Geghamian nicht an jenes des neuen georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili heranreicht. Über allem aber dürfte der äußere Faktor liegen: Eine entschlossene Rolle des Westens wie bei der Rosenrevolution in Georgien ist in Armenien nicht zu erkennen. Armeniens Verteidigungsminister ist mit dem US-Botschafter noch vor dem Vorgehen gegen die Demonstranten zusammengetroffen. Offen daher auch die Frage, ob Washington oder Moskau, Armeniens - auch der Opposition - engster Verbündeter, den Polizeieinsatz abgesegnet hat.

Und selbst die einflussreiche armenische Diaspora, deren Geldüberweisungen aus den USA und aus Russland einen bedeutenden Teil von Armeniens Budget ausmachen, steht durchaus nicht eindeutig aufseiten der Opposition. (DER STANDARD, Printausgabe, 15.4.2004)