Fremd unter Fremden in Japan, ein Balanceakt zwischen Missverständnissen und unfreiwilligem Humor: Bill Murray in Sofia Coppolas Komödie "Lost in Translation"

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Wien - "Japan kann abstoßen und es kann erschöpfen", schreibt der ehemalige FAZ-Ostasien-Korrespondent Uwe Schmitt in seiner lesenswerten Essaysammlung Tokyo Tango (1999 erschienen in Hans Magnus Enzensbergers Anderer Bibliothek). Ihn interessierte angesichts der Wirtschaftskrise, in die das Land Mitte der 90er-Jahre geschlittert war, in Alltag, Politik und Kultur die Frage: "Ist es Japan, das da schwankt, taumelt, kippt - oder ist es das Bild, das wir uns von Japan machen?"

Verwirrung als Romanze

"Wir", das ist in diesem Fall eine westliche Gesellschaft, die bis zum heutigen Tage ungebrochen irritiert auf Codices der Kultur Japans reagiert - auf Verhaltensmuster, Organisationsformen und Haltungen, die sich in jeder Hinsicht schwer übersetzen lassen. Lost in Translation, Sofia Coppolas Komödie mit einem in Tokio ganz wunderbar desorientierten Bill Murray schaltete diese Verwirrung vor fremden Zeichen mit einer nicht weniger rätselhaften Romanze gleich.

Wesentlich finsterer gestaltete sich das Rätsel Japan noch vor verdüsterten Nachkriegskulissen des US-Kinos bis herauf in die 80er-Jahre: So- gar Sciencefiction-Filme wie Blade Runner nahmen für futuristische Metropolen Anleihen bei fernöstlichem Neon-und Zeichenbombardement. Melodramatische Verunsicherung gab sich da die Hand mit Schuldgefühlen, die sich wohl auch noch aus Erinnerungen an Hiroshima und Nagasaki speisten. Gleichzeitig schien das japanische Hochleistungsethos in Wirtschaft und Kultur immer eine Art beklemmende Zukunftsperspektive für den westlichen Ökonomiewettbewerb zu sein.

Pragmatische Selbstdarsteller

Japanische Selbstdarstellungen verhalten sich dazu naturgemäß pragmatischer: Siehe zum Beispiel die Romane des Nobelpreisträgers Kenzaburo Oe, in denen immer wieder die unüberwindliche Distanz moderner Japaner zu alten Traditionen thematisiert wird. Siehe auch die aktuellen Bestseller von Haruki Murakami (Kafka am Strand), der einerseits konsequent an westliche Erzähltraditionen andockt (er übersetzte Chandler und John Irving ins Japanische), andererseits aber eine tragikomische Innenschau nationaler Unsicherheiten und Beklemmungen liefert.

Besonders interessant ist in diesem Sinne sein Interviewbuch Untergrundkrieg (erschienen bei DuMont), in dem er Opfer und Täter jener Giftgasanschläge in der Tokioter U-Bahn befragt, für die 1995 die berüchtigte Aum-Sekte verantwortlich zeichnete.

Ausgangspunkt für Murakamis Recherche war die Geschichte eines Pendlers, der auf dem Weg in die Arbeit Opfer des Anschlags wurde. "Unglücklicherweise blieben Beschwerden zurück, und er konnte den Anforderungen, die sein Beruf an ihn stellte, nicht mehr genügen. Mit der Zeit begannen seine Kollegen und Vorgesetzten, gehässige Bemerkungen zu machen. Außerstande, die feindselige Atmosphäre zu ertragen, sah der Mann keinen anderen Ausweg, als zu kündigen."

Im Westen wurde Untergrundkrieg erst nach 9/11 wirklich ein Thema - gerade auch in seinem Befund eines allgemeinen Drucks, der - ähnlich wie in den Stadtbildern oder auch in von Kindern geliebten Sammelkartenserien (Pokémon, Beyblade) - zuerst wie ein exotischer Wahnwitz "bei denen da drüben" wirkt. Dann bemerken wir, dass uns ähnliche Phänomene längst selbst ergreifen. "Japan aber, wie wir es sehen", schreibt Uwe Schmitt, "ist eine Erfindung" - als solche erzählt es zuallererst viel über die westlichen Betrachter. (Claus Philipp, DER STANDARD Printausgabe, 15.4.2004)