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Allmorgendlich wälzen sich 2,1 Millionen Fahrzeuge über die fünf Ringstraßen Pekings. Pekings Fahrschulen dürfen nicht auf öffentlichen Straßen üben lassen

Foto: APA/ Str
Peking - Die beiden großen chinesischen Schriftzeichen Xin Shou (sie bedeuten: ich bin eine neue Hand) auf dem Schild an der Heckscheibe verheißen nichts Gutes. Damit mahnt ein frisch gebackener Führerscheinbesitzer die hinter ihm fahrenden Autolenker im Pekinger Straßenverkehr, ausreichend Abstand zu halten. Die mit dem Verkehr in der Hauptstadt Vertrauten reagieren beinahe panisch: Sie überholen den Neuling hupend so schnell es geht.

Unberechenbar

Verständlich. Anfänger sind in Pekings ebenso tückischem wie chaotischem Straßenverkehr zur unberechenbaren Gefahrenquelle geworden. Der dauernd währende Verkehrsstau macht es zudem immer schwieriger, ihnen rechtzeitig auszuweichen. Allmorgendlich wälzen sich 2,1 Millionen Fahrzeuge über die fünf Ringstraßen Pekings.

Seit die chinesische Regierung ihre Bürger anhält, sich privat Autos zu kaufen, reihen sich immer mehr Anfänger ein. Jeder Pekinger will den Führerschein machen. Eine Viertelmillion waren es im vorigen Jahr, heuer werden es noch mehr sein. Ein neuer aufstrebender Markt für Aufkleber lebt von ihrer Unsicherheit, Sprüche gibt es für jedes Temperament: "Fan zhene" (Ihr nervt mich), "Mo he" (Muss mich noch abschleifen) oder "Buyao Wenwo" (Küsst mich nicht).

Neulinge von Fahrschulen

Eigentlich sollten die Neulinge von Fahrschulen auf den Ernst des künftigen Autolenkerlebens vorbereitet werden. Doch die sind nur für Trockenübungen zuständig. Fahrstunden im wirklichen Verkehr sind verboten. Die Stadtverwaltung hat das bereits 1995 verordnet. Somit ist Peking die einzige Großstadt der Welt ohne Fahrschüler auf öffentlichen Straßen.

"Furchtbar, wenn wir unsere Schüler auf normalen Straßen üben ließen", äußert sich Direktor Li Jun mit deutlich merkbarem Grauen. Er leitet das "Shoudu-Trainingszentrum", eine der ältesten und größten der 101 Fahrschulen in Peking. Seit 1984 hat sie 100.000 Fahrschüler ausgebildet. Stolz verweist Li Jun auf sein umzäuntes Übungsgebiet mit Straßen, Verkehrsschildern, Kreuzungen und Ampeln.

Wohl temperiert hupen

6000 Schüler jährlich machen dort auf 123 weißen VW-Santanas und auf Kleinlastern ihren Führerschein. Sie fahren die vorgeschriebenen 60 bis 70 Fahrstunden im Schritttempo ab, lassen höflich Vorfahrt, halten bei Rot und hupen wohltemperiert. Autobahnpraxis oder Nachtfahrten bleiben aus. In den echten Verkehr dürfen sich die Anfänger erst dann hineinstürzen, wenn sie ihren Führerschein haben.

Die Marktlücke nutzen kleine Firmen. Sie bieten dem verunsicherten Greenhorn für die ersten Tage Begleitschutz an. Das Ausleihen eines versierten Mitfahrers kostet rund fünf Euro pro Stunde, mehr als die einstige Fahrstunde, weil es nun auch für den Begleiter gefährlich werden kann. Nur wagemutige Anfänger trauen sich, alleine loszufahren.

Sie vertrauen auf einen großen Aufkleber am Heck: Bin eine neue Hand - Küsst mich nicht. (Johnny Erling aus Peking, DER STANDARD Printausgabe 16.4.2004)