Die steirische Jagd ist zu Ende. Die Schuldigen im "Estag- Skandal" sind politisch begraben, in den Ruhestand geschickt oder in der Warteschleife für einen neuen Job. Die Steiermark atmet auf. Wenn da nicht dieser Rohbericht des Bundesrechnungshofes wäre.

Dieser Estag-Rohbericht, der ja den Anlass zur Jagd geboten und letztlich den steirischen Wirtschaftslandesrat Herbert Paierl zur Strecke gebracht hat, zeigt schwere Mängel auf. Ehemalige Vorstände der Energie Steiermark AG (Estag) listen eine Reihe von offensichtlichen Hudeleien - Euro- wurden mit Schillingbeträgen verwechselt -, Schlampigkeiten, Rechenfehlern und mangelhaften Recherchen auf. Stimmen diese Erwiderungen der ehemaligen Estag- Vorstände, dass die Beamten zu hastig und sehr salopp recherchiert haben, muss sich Rechnungschef Franz Fiedler wohl fragen, ob seine oberste Prüfinstanz nicht womöglich für eine politisch motivierte Aktion instrumentalisiert worden ist.

Kaum reparabler Imageschaden

Ist die Kritik an den RH-Ergebnissen haltbar, wird der Skandal, der dem steirischen Leitunternehmen einen schweren, kaum reparablen Imageschaden zugefügt und die ÖVP von Landeshauptfrau Waltraud Klasnic in eine historische Krise gestürzt hat, verwässert. Und wenn schon die Grundannahmen für den Skandal womöglich fehlerhaft sind, wie sieht dann das tatsächliche Ausmaß des Skandals aus? Das alles passt zu vertraulichen Aussagen führender Landespolitiker, die seit längerem bedauern, dass sie auf eine von den lokalen Medien geschaffene "Skandalfiktion" reagieren müssen.

Inhaltlich sehr kritisch muss in jedem Fall das Fehlen einer energiepolitischen Gesamtsicht durch den RH bewertet werden. Die Steiermark ist das einzige Bundesland, in dem das zweite Verstaatlichtengesetz nicht umgesetzt wurde. Das große Landesunternehmen war - anders als etwa die EVN oder die Kelag - nie direkt am lukrativen Endkunden, sondern vorwiegend nur Großverteiler. Erst mit der Hereinnahme des französischen Partners Electricité de France (EdF) kam genügend Geld in die Kassa für Aufkäufe von Privaten oder auch der Energie Graz. Dass dieser Transformationsprozess nicht mit internationaler Professionalität über die Bühne gegangen ist, sondern mit steirisch- österreichischem Provinzgeist, ist evident. Im steirischen Wirtschaftsbiotop wurden sicher viel zu kleine Brötchen mit viel zu vielen Freunden gebacken. Man hatte es sich an der Konzernspitze - von der Landespolitik geduldet - gemütlich und finanziell feudal eingerichtet. Ein Blick in andere Landesunternehmen wird wohl ein ähnliches Bild bieten. Das zu ändern wäre Pflicht der Landespolitik gewesen. Darauf hinzuweisen war sicher ein Verdienst Gerhard Hirschmanns. Die dramatischen politischen und wirtschaftlichen Folgen des von ihm angezündeten "Skandals" stehen aber in keinem Verhältnis zu den bisher bewiesenen Vorwürfen.

Wie konnte die Steiermark so kläglich in diese Malaise rutschen? Ein Erklärungsversuch geht in die Tiefen der "stoa-steirischen" Kulturlandschaft und ist an der Person Herbert Paierl festzumachen. Seine lockere Art der Lebensführung, sein internationaler, liberaler Habitus, hat in der konservativ-katholischen ÖVP und auch in Kreisen des ÖAAB nicht nur Irritationen, sondern tiefe Ablehnung ausgelöst. Er passte so gar nicht in dieses antiquarisch-steirische Familienidyll. Der ehemalige ÖVP-Politiker Bernd Schilcher wusste als "Kronzeuge" im Standard-Gastkommentar sogar von einer "schwarzen Jagdgesellschaft", die "den Vernichtungsangriff auf den liberalen Außenseiter" gestartet habe. Die Estag-Story bot nur einen Anlass zum Abschuss. Jetzt, nachdem Paierl vom Feld genommen wurde, herrscht verdächtige Stille im Land. Der Estag-Skandal scheint niemanden mehr wirklich zu interessieren.

War’s letzten Endes tatsächlich nur eine kleine, ursteirische Konterrevolte gegen die Moderne? Eine simple Erklärung - aber manchmal ist Politik eben auch simpel. (Walter Müller, Der Standard, Printausgabe, 21.04.2004)