Wien - Österreich führt die Liste jener Staaten an, in welchen es laut nun veröffentlichtem Jahresbericht des Nazi-Jägers und Leiter des Jerusalemer Simon Wiesenthal Centers, Efraim Zuroff, neue Hinweise auf noch nicht verurteilte potenzielle NS-Kriegsverbrecher gibt. Der Bericht, der den Zeitraum 1. April 2003 bis 31. März 2004 umfasst, spricht von weltweit 166 neuen Ermittlungen des Wiesenthal Centers. 60 davon fallen auf Österreich. Am zweiten Platz finden sich die USA mit 40 neuen Ermittlungen, am dritten Platz Lettland mit 19 neuen Ermittlungen.

Wenig zufrieden stellend

Wenig zufrieden stellend fällt in dem Bericht auch die Beurteilung Österreichs hinsichtlich des eigenen Engagements aus, nach ehemaligen NS-Kriegsverbrechern zu suchen. Das Wiesenthal Center unterscheidet hier zwischen fünf Kategorien - von Kategorie A (diese Länder können ein sehr erfolgreiches Programm vorweisen) bis Kategorie F ("totales Versagen"). Österreich wurde in Kategorie C gereiht. In diese fallen Länder, die im Beobachtungszeitraum weder Verurteilungen ehemaliger NS-Kriegsverbrecher vorzuweisen haben, noch seitens der Justiz neue Verfahren eingeleitet wurden, wo es aber Hinweise auf neue Fälle und Untersuchungen in diese Richtung gibt.

Die hohe Zahl an Verdachtsfällen ist wohl auch Ergebnis der "Operation letzte Chance", die von Zuroff im Spätherbst 2003 in Österreich gestartet worden ist. Mit der zuvor im Baltikum durchgeführten Initiative sollten auch in Österreich noch lebende ehemalige NS-Verbrecher aufgespürt werden. Für entscheidende Hinweise hat das Wiesenthal Center eine Prämie in Höhe von 10.000 Dollar (8.385 Euro) in Aussicht gestellt.

Im April legte Zuroff weitere 121 Namen vor

Im April hat das Wiesenthal Center eine Liste mit weiteren 121 potenziellen österreichischen NS-Kriegsverbrechern an das Justizministerium übermittelt. Das sagte der Leiter des Jerusalem-Büros und Nazi-Jäger Efraim Zuroff am Mittwoch im Gespräch mit der APA. Diese neue Liste sei im Jahresbericht des Wiesenthal Centers noch nicht erfasst - es gebe also keine Überschneidungen mit den 60 in diesem Report genannten Verdachtsfällen.

Bei den 121 Genannten handle es sich um Personen, die in Einheiten der Waffen-SS gedient haben, die nachweislich an Kriegsverbrechen beteiligt waren. Als Beispiele führte Zuroff etwa die Panzerdivision Wiking an, die im Sommer 1941 an Verbrechen in der ehemaligen Sowjetunion beteiligt gewesen sei. Die SS-Division Prinz Eugen wiederum sei 1943 und 1944 in Kriegsverbrechern im ehemaligen Jugoslawien involviert gewesen.

In diese Liste aufgenommen wurden lediglich Personen ab dem Jahrgang 1915. Viele seien also noch unter 80 Jahre alt - "es könnten also noch alle von ihnen, oder zumindest ein Großteil am Leben sein", betonte Zuroff.

Im Justizministerium wurde am Mittwoch auf Anfrage von Thomas Grünewald der Eingang dieser weiteren Liste bestätigt. Für die rund 50 ersten angefragten Personen habe man rund ein halbes Jahr gebraucht, um entsprechende Hinweise zu finden. Man werde bei den nun neuen 121 Namen ebenso vorgehen wie im Fall der bereits behandelten und hoffe auch hier "rasch eine Klärung vorzunehmen". Sollten sich - wie in sieben Fällen der ersten übermittelten Liste - ebenfalls konkrete Hinweise finden, komme es zu Voruntersuchungen und gerichtlichen Erhebungen und sollten sich die Vorwürfe erhärten, in Folge auch zu einem Gerichtsverfahren.

Innenministerium: In Kürze wird es sieben Verfahren geben

In Kürze wird in Österreich gegen sieben Personen ermittelt, die an NS-Kriegsverbrechen beteiligt sein könnten. Das sagte Thomas Grünewald vom Justizministerium am Mittwoch. Die sieben Betroffenen finden sich auf jener 48 Namen umfassenden Liste, die Justizminister Dieter Böhmdorfer (F) vergangenes Jahr vom Nazi-Jäger und Leiter des Simon Wiesenthal-Centers in Jerusalem, Efraim Zuroff übergeben worden war. Aus diesen 48 Namen sowie einer Liste mit zwölf weiteren Namen, die dem Ministerium diesen März übermittelt wurde, setzen sich auch die 60 Verdachtsfälle zusammen, die vom Wiesenthal Center in ihrem den Zeitraum 1. April 2003 bis 31. März 2004 umfassenden Jahresreport für Österreich angeführt werden, erläuterte Grünewald.

Über den Verbleib der restlichen 41 Personen der ersten Liste konnte das Ministerium inzwischen herausfinden, dass 34 Personen bereits gestorben sind, zum Teil schon im Lauf des Weltkriegs. Vier Personen konnten zwar vom Innenministerium nicht aufgefunden werden, aber das Staatsarchiv lieferte Hinweise auf deren Existenz. Für drei Personen konnte keine der angefragten Stellen Hinweise liefern. Angefragt wurde unter anderem beim Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW), der Zentralen Forschungsstelle der Landesjustizverwaltungen in Deutschland und dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung.

Wie es im Ministerium bewertet wurde, dass Österreich in die Kategorie C eingereiht wurde? (In diese fallen Länder, die im Beobachtungszeitraum weder Verurteilungen ehemaliger NS-Kriegsverbrecher vorzuweisen haben, noch seitens der Justiz neue Verfahren eingeleitet wurden, wo es aber Hinweise auf neue Fälle und Untersuchungen in diese Richtung gibt.) Dazu meinte Grünewald: der Bericht sei sozusagen einen Monat zu früh erschienen - denn im Mai hätte man eben schon berichten können, "dass wir sieben Gerichtsverfahren haben".

Zuroff "gespannt"

Die Art, wie Österreich die Untersuchungen zu den vom Simon Wiesenthal Center übermittelten Listen von möglichen ehemaligen NS-Kriegsverbrechern führen werde, werde eine Beweisprobe dafür sein, ob das offizielle Österreich schlussendlich das Faktum verinnerlicht habe, dass Österreich ein Partner der Nationalsozialisten und nicht deren Opfer war. Das hielt der Nazi-Jäger und Leiter des Jerusalem-Büros des Wiesenthal Centers, Efraim Zuroff, Donnerstag Abend fest. (APA)