Ethnische Frage
Vor allem die ethnische Frage birgt in Lettland politische und soziale Sprengkraft. Von allen zehn Beitrittsländern ist die Baltenrepublik nämlich ethnisch am heterogensten. Lediglich 58 Prozent der 2,4 Millionen Einwohner gehören dem lettischen "Staatsvolk" an, 30 Prozent sind unter dem kommunistischen Regime eingewanderte Russen. Besonders in den Städten ist oft mehr russisch als lettisch zu hören. In der Industriestadt Daugavpils im Osten des Landes sind überhaupt nur 15 Prozent der rund 115.000 Einwohner Letten.
Internationale Kritik
Für ihre Volksgruppenpolitik musste sich die lettische Regierung in den vergangenen Jahren viel internationale Kritik gefallen lassen. Tatsächlich ist der Anteil von Russen unter den Arbeitslosen, Prostituierten und Gefängnisinsassen überdurchschnittlich hoch. Rund 600.000 Menschen - vorwiegend Russen - leben als so genannte "Nicht-Bürger" ohne Wahlrecht in Lettland. Zur Erlangung der Staatsbürgerschaft müssen sie unter anderem ausreichende Lettisch-Kenntnisse vorweisen. Staatspräsidentin Vaira Vike-Freiberga hält Kritikern entgegen, dass Einbürgerungen in Lettland mittlerweile leichter seien als etwa in Deutschland. Allerdings wurde eine Klausel, die für Bewerber bei Parlamentswahlen gute Kenntnisse der lettischen Sprache erforderte, erst im Mai 2002 aufgehoben.
Tor zum Osten?
Dabei könnte sich gerade die der große russische Volksgruppe ökonomisch als großer Vorteil für das Land herausstellen. "Lettland sticht damit aus der Masse heraus, es könnte ein Tor zum Osten werden", meint der schwedische Wirtschaftsexperte Morten Hansen. 79 Prozent der Letten sprechen Russisch, was das Land sowohl für Investitionen aus EU-Staaten als auch aus Russland interessant macht.
"Großer Bruder"
Politisch ist die Beziehung Lettlands zum früheren "großen Bruder" Russland gespannt, wobei Moskau vor allem die "Minderheitenkarte" spielt. Diplomatische Protestnoten stehen auf der Tagesordnung, auch der lettisch-russische Grenzverlauf ist immer noch ungeklärt. Wohl auch deswegen hat sich Lettland, das im kommenden Jahr auch der NATO beitritt, in der Irak-Krise demonstrativ an die Seite der USA gestellt und mehr als 100 Soldaten in das besetzte Land geschickt.
Die Psychologieprofessorin Vike-Freiberga (65), die die meiste Zeit ihres Lebens im kanadischen Exil verbrachte, ist seit 1999 lettische Staatspräsidentin. Mit ihr wurde erstmals in einem osteuropäischen Reformstaat eine Frau zum Staatsoberhaupt gewählt.
Ablösungsprozess