Wien - Eigentlich tritt Lettland am 1. Mai der Europäischen Union bei. Glaubt man aber dem oppositionellen litauischen Parlamentsabgeordneten Rimvydas Vastakas, ist für die Union in der größten Baltenrepublik nicht mehr viel zu holen. "Unser Militär gehört den USA und unsere Wirtschaft ist von Russland okkupiert", so Vastakas. Tatsächlich hat sich das künftige NATO-Mitglied Litauen im Irak-Krieg auf die Seite der Vereinigten Staaten gestellt, während umgekehrt die Präsenz russischer Unternehmen im Land unübersehbar und die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen chronisch ist.

"Sehr gute und zugleich sehr schlechte geographische Lage"

"Wir befinden uns in einer sehr guten und zugleich sehr schlechten geographischen Lage", betont etwa Ministerpräsident Algirdas Brazauskas. Durch seine Scharnierfunktion zwischen Ost- und Westeuropa zieht Litauen ökonomischen Nutzen, ist aber andererseits auch starkem politischen Druck ausgesetzt. Deutlich wurde dies im Vorjahr, als Vilnius eine umstrittene Regelung zum leichteren Transit in die russische Exklave Kaliningrad akzeptieren musste. Die Region an der Ostsee ist nämlich von Russland aus nur über Litauen erreichbar, das als EU-Mitglied die Visapflicht für Russen einführen muss. Nun sollen die Visa kostenlos und innerhalb von 24 Stunden an russischen Bahnhöfen ausgegeben werden.

Wohlstandsgefälle

Die Kaliningrad-Frage liegt den litauischen Politikern aber auch sonst schwer im Magen. Als Stützpunkt für Organisierte Kriminalität, Drogen- und Waffenhandel könnte die russische Region auch Litauen destabilisieren. Dies umso mehr, wenn nach dem EU-Beitritt das Wohlstandsgefälle noch zunehmen wird. Hinter vorgehaltener Hand wird daher in Vilnius - und auch in Brüssel - längst über eine "Statusänderung" für die nach dem Zweiten Weltkrieg von Russland annektierte Region diskutiert.

Atomenergie

Während die Zeitbombe Kaliningrad wohl erst nach dem EU-Beitritt zu ticken beginnen wird, hat Litauen mit dem Atomkraftwerk Ignalina eine andere Gefahrenquelle bereits entschärft. Gegenüber der EU hat sich das Land nämlich zur Abschaltung der beiden Reaktoren sowjetischer Bauart bis zum Jahr 2009 verpflichtet. Litauen fordert jedoch EU-Gelder für einen dritten, modernen Reaktor am Standort des Kraftwerkes, das derzeit 70 Prozent des litauischen Strombedarfs deckt.

Innenpolitische Turbulenzen

Innenpolitisch geht es in Litauen derzeit eher unruhig zu. Der erst im Jänner 2003 überraschend zum Staatspräsidenten gewählte Rolandas Paksas war Ende März nach einem im vergangenen Dezember begonnenen Amtsenthebungsverfahren aus dem Präsidentenpalast gestimmt worden. Paksas wurde in der Folge in mehreren Punkten vom Höchstgericht Verfassungsbruch attestiert. Derzeit führt Parlamentspräsident Arturas Paulauskas die Amtsgeschäfte. Die erste Runde der Neuwahl des Präsidenten wird vermutlich am 13. Juni stattfinden. Paksas soll sich seinen Wahlkampf vom umstrittenen russischen Geschäftsmann Jurij Borisow finanzieren haben lassen, dem er im Gegenzug per Präsidentendekret die litauische Staatsbürgerschaft verschaffte. Borisow werden illegale Waffengeschäfte vorgeworfen und er soll auch über Kontakte zu Mafia und russischem Geheimdienst verfügen.

Ein "alter Bekannter"

Litauens Ministerpräsident ist seinerseits ein "alter Bekannter". Der frühere Kommunistenchef Algirdas Brazauskas führt seit Juli 2001 eine Koalition aus Sozialdemokraten und Sozialliberalen an, war aber Mitte der 1990er Jahre bereits Staatspräsident.

Großmacht

Das heute von 3,4 Millionen Menschen bewohnte Litauen war im Mittelalter, zeitweise im Verbund mit Polen, eine europäische Großmacht. 1944 wurde es zur Sowjetrepublik. Als am 11. März 1990 das litauische Parlament die Unabhängigkeit erklärte, verhängte Moskau eine Wirtschaftsblockade über Litauen, die vor allem die Energieversorgung zum Erliegen brachte. Am 13. Jänner 1991 kam es dann zur "Blutnacht" in der Hauptstadt Vilnius, als beim Sturm des Fernsehturms durch sowjetische Spezialtruppen 13 Menschen getötet wurden. Im September 1991 erkannte schließlich Moskau die staatliche Unabhängigkeit der drei baltischen Staaten an. Den EU-Beitrittsantrag stellte Litauen im Dezember 1995, offizielle Verhandlungen wurden aber seitens der Union erst im Februar 2000 aufgenommen. (APA/red)