Frage: In welcher entwickelten europäischen Demokratie gibt es im Jahr 2004 noch eine Debatte über das Verhältnis eines Bewerbers um das Amt des Staatsoberhaupt zum Nationalsozialismus? Nur in Österreich.

Sowohl Heinz Fischer als auch Benita Ferrero-Waldner wurden im Wahlkampf mit der Frage konfrontiert, ob sie einen Jörg Haider angesichts seiner wiederholten, positiv gefärbten Anspielungen auf NS-Gedankengut als Minister angeloben würden. Fischer ließ die Frage offen. Ferrero sagte, sie würde ihn angeloben. Dass Haider etwa noch im Wiener Wahlkampf 2001 mit Antisemitismus arbeitete, zählt da anscheinend nicht. Das wirft ein Schlaglicht auf die Tiefenstruktur unseres politischen Klimas.

Dieses Klima des Landes wird aber (noch immer) zu einem beträchtlichen Teil von der Kronen Zeitung geprägt, und dort finden sich immer wieder "antisemitische, rassistische und nationalistische" Untertöne. Dies wurde soeben in einem (noch nicht rechtskräftigen) Urteil des Wiener Landesgerichtes bestätigt.

DER STANDARD bzw. ich wurden von Hans Dichand geklagt, weil ich einen Ausspruch von WAZ-Chef Erich Schumann, dem Hälfteeigentümer der Krone, zitiert hatte, wonach die WAZ wegen "antisemitischer und nationalistischer Töne" intervenieren musste. Schumann wurde von mir in drei Kolumnen zitiert, leider in der letzten aus dem Gedächtnis, so dass in dieser Kolumne aus "antisemitisch und nationalistisch" ein "antisemitisch und rassistisch" wurde. Es war also der Wahrheitsbeweis zu erbringen, dass in der Krone antisemitische, nationalistische und rassistische Untertöne herrschen. Das gelang.

Und zwar auf Basis einer von STANDARD-Anwältin Maria Windhager und mir erstellten umfangreichen Dokumentation, in der solche Töne vor allem bei den Kolumnisten "Staberl" und "Wolf Martin" über Jahre hinweg nachgewiesen? (und mit wissenschaftlichen Gutachten abgesichert) wurden. Dabei kam erst so richtig zu Bewusstsein, mit welcher Konstanz und Dichte besonders von den beiden oben erwähnten übelstes Gedankengut unter die Leute gebracht wurde. Auf der Basis dieser 60 Seiten erachtete die Richterin den Wahrheitsbeweis für geglückt. Hans Dichand hat tags darauf in der Krone allerdings eine völlig verdrehte Darstellung des Prozesses gegeben und vor allem die Tatsache unterschlagen, dass der Wahrheitsbeweis für "rassistisch und antisemitisch" erbracht wurde.

Die Palette reicht vom Spiel mit "jüdischen" Namen und Stereotypen; von einer atemberaubend tückisch formulierten Verharmlosung des Holocaust bei Staberl bis zu einer obsessiven Befassung mit "Negern" und "Rassen" bei Staberl und Wolf Martin oder der Tschechenphobie von Wolf(gang) Martin(ek), der dieses Volk u. a. als "Pack, das schamlos lügt" bezeichnet.

Am jeweiligen Tag gelesen, erzeugt das bei anständigen Menschen ein starkes Gefühl des Unbehagens, in der geballten Ladung erhebt sich die Frage, warum in der größten Zeitung Dinge erscheinen dürfen, die – vor allem, was die antisemitischen Untertöne betrifft – auch in den aggressivsten Massenzeitungen Europas unmöglich sind. Was nebenbei der Beweis ist, dass man für den Erfolg einer Massenzeitung solcher "Untertöne" nicht bedarf.

Die Krone müsste nicht so sein. Und wir sollten im 21. Jahrhundert eigentlich in einem Präsidentschaftswahlkampf nicht mehr über NS-Gedankengut diskutieren müssen. Aber so ist es, und das ist auch ein Wahrheitsbeweis. (DER STANDARD, Printausgabe, 23.4.2004)