Wien - Die siebenjährige Übergangsfrist bis zur vollständigen Öffnung des österreichischen Arbeitsmarktes sollte nach Ansicht des Wirtschaftsforschungsinstitutes (Wifo) in verschiedenen Bereichen aktiv genutzt und von der heimischen Politik nicht als Wartezeit missverstanden werden.

Um Ängste vor einer Überlastung des Arbeitsmarktes durch Billigarbeitskräfte aus dem Osten nicht einfach auf das Jahr 2011 zu verschieben, sollten die Instrumente der "kontrollierten Zuwanderung" ausgebaut werden, empfiehlt das Wifo. Darunter sind etwa neue Grenzgänger- oder Praktikantenabkommen zu verstehen, aber auch Maßnahmen zur Schwarzarbeitsbekämpfung.

Dieses "Arbeitsmarkt-Problem" sieht das Wifo nämlich trotz der siebenjährigen Schonfrist: Reguliert wird mittels der Übergangsfristen ja nur der Zugang zum Arbeitsmarkt, nicht aber die Einwanderung (EU-Niederlassungsfreiheit) nach Österreich.

Das bedeutet, die Bürger der neuen EU-Mitgliedsländer dürfen zwar nach dem 1. Mai 2004 völlig legal in Österreich wohnen, bekommen aber keine Arbeitserlaubnis. Ausgenommen sind jene rund 35.000 Personen (50.000 inkl. Familienangehöriger), die bereits mehr als ein Jahr legal in Österreich leben.

Kooperation: Forschung/Bildung

Wifo-Chef Helmut Kramer sagte, die Übergangsfristen sollten möglichst rasch und offensiv genutzt werden. Als vorrangig bezeichnete Kramer Kooperationen in Forschung & Entwicklung.

Jüngere Universitäten wie beispielsweise in Szeged, Ungarn, würden den Mangel an grenzüberschreitender Zusammenarbeit mit österreichischen Forschern beklagen.

Auch auf dem Bildungssektor sollte Österreich die Grenzüberschreitung so rasch wie möglich fördern und Studenten aus den Beitrittsländern in Österreich studieren lassen.

Bei einer sofortigen Öffnung des Arbeitsmarktes würden bis 2030 etwa 230.000 Migranten und 70.000 Pendler nach Österreich kommen. Davon im ersten Jahr zwischen 20.000 und 24.000 Migranten, was etwa 13.000 bis 16.000 Arbeitskräften entsprechen würde.

Ab 2011 erwartet das Wifo rund 9000 zusätzliche Arbeitskräfte pro Jahr, was angesichts von heute 3,3 Millionen Beschäftigten als durchaus verkraftbar erscheint.

Vom "Technologienehmer" zum "Technologiegeber"

Abgesehen vom Arbeitsmarkt erwartet Wifo-Experte Karl Aiginger für die Industrie im mittleren Größensegment den größten Anpassungsdruck durch die Erweiterung. Österreich müsse sich vom "Technologienehmer" zum "Technologiegeber" wandeln und sich als Standort für Konzernzentralen positionieren.

Die volkswirtschaftlichen Auswirkungen der Erweiterung schätzt das Wifo überraschend gering ein. In Österreich wachse dadurch das Bruttoinlandsprodukt nur um wenige Zehntelprozentpunkte stärker. Dennoch wären die Kosten der Nichterweiterung wesentlich größer gewesen.

Bis 2008 werden die Neuen in der EU um jährlich 1,3 Prozent schneller wachsen als die Alten. Dennoch werde der wirtschaftliche Aufholprozess noch Jahrzehnte brauchen - vor allem in Polen. (DER STANDARD Printausgabe, 23.04.2004 miba, APA)