Die SMS der ÖVP mit der Aufforderung, nicht zu vergessen, Benita zu wählen, erreichte mich (auf meiner Geheimnummer) kurz vor zehn Uhr vormittags. Zu spät. Ich hatte gerade das Wahllokal verlassen. Bezeichnend aber die Aktion für den verzweifelten Aktivismus der Volkspartei-Wahlkämpfer, die bis zum letzten Moment mit teils fragwürdigen, teils kontraproduktiven Methoden noch versuchten, das Schicksal zu wenden.

Österreich ist ein sehr konservatives Land, und deswegen hat Heinz Fischer gewonnen. Er steht für einen konservativen, das heißt wörtlich bewahrenden, Umgang mit den beiden Heiligtümern des österreichischen Bewusstseins, der Neutralität und dem Sozialstaat - obwohl er gerade bei diesen Themen staatsrechtlich nichts bewirken kann. Diese Materien können nur mit Parlamentsmehrheiten verändert werden. Der Bundespräsident kann allerdings durch geeignetes öffentliches Auftreten das entsprechende Meinungsklima beeinflussen, und das wird Heinz Fischer zweifellos versuchen. Er sollte sich allerdings zusätzlich noch etwas Neues einfallen lassen, denn das Amtsverständnis von anno dazumal genügt nicht mehr.

Thomas Klestil wollte ein aktiver Bundespräsident sein und hat sich zuerst mit Franz Vranitzky und dann mit Wolfgang Schüssel auf realpolitische Machtkämpfe eingelassen, die er fürchterlich verlor.

Die nahe liegende Reaktion wäre jetzt ein Rückzug auf die Kirchschläger-Rolle des sanften Mahners, aber das reicht nicht mehr. Selbstverständlich ist das Amt nicht überflüssig (jeder Staat hat ein Staatsoberhaupt, schon um den Staat zu repräsentieren), aber wenn das jetzt wieder eine "Liebe Österreicherinnen und Österreicher, zu diesem festlichen Anlass . . ."-Präsidentschaft wird, wäre wirklich schade ums Geld.

Fischer ist ein hoch gebildeter Mann, daraus muss sich etwas machen lassen. In einer früheren Kolumne habe ich angeregt, der Präsident (die Präsidentin) möge durch Abhaltung von Symposien und Enqueten eine große Debatte über Zukunftsfragen anstoßen und so eine Agenda setzen (interessanterweise hatte Frau Ferrero-Waldner einen ähnlichen Vorschlag in ihrem Programm). Damit könnte er notfalls der (jeweiligen) Regierung mehr Druck machen als durch Andeutungen in Interviews und Reden bei Messeeröffnungen. Vom Kanzler kommt ja wenig in der Hinsicht. Aber die Zeiten verlangen nach geistiger Führung.

Der Bundespräsident muss natürlich das Gesamtwohl im Auge haben, und er sollte unparteiisch sein - aber er sollte sich auch nicht in den österreichischen Konsens des Nichtdiskutierens von wichtigen Themen verschließen. Nächstes Jahr sind große Feierlichkeiten zu 60 Jahre Kriegsende und Wiedererstehen der Republik sowie zu 50 Jahren Staatsvertrag (und 50 Jahre Neutralitätserklärung) angesagt.

Die Vergangenheit muss angemessen behandelt werden, aber irgendwer muss den lieben Österreicherinnen und Österreichern auch sagen, dass da draußen etwas vor sich geht, was unsere Krankenkassa-Hundigassigehen-Gesellschaft nachhaltig durcheinander bringen könnte.

Warum nicht ein Bundespräsident, der immer ein vorsichtiger, abwägender, eher konservativer Sozialdemokrat war, der aber jetzt über seinen Schatten springen könnte. Wer soll einen 65-Jährigen, der sechs Amtsjahre vor sich hat (wenn alles seinen normalen Gang geht) jetzt noch daran hindern, aus der Hofburg ein Zentrum für unkonventionelle Denkanstöße und Zukunftsdebatten zu machen?

Das wäre eine Möglichkeit, die Abwertung des Amtes, die seit Waldheim vor sich gegangen ist, wieder aufzufangen oder sogar umzukehren. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 26.4.2004)

hans.rauscher@derStandard.at