Frau S. ist seit vielen Jahrzehnten wahlberechtigt. Sie wählt immer - und immer anders. Sie ist die geheime Erfinderin des Persönlichkeitswahlrechts: Sie wählt stets nur Persönlichkeiten, nie Parteien. Als Kind vom Land und Rentnerin in der Stadt springt sie beherzt von erzschwarzen Bauernhochständen in tiefrote Arbeiterhochburgen und wieder zurück. Das ergab: Raab, Gorbach, Klaus und Kreisky. Vranitzky ("trotz der schlampigen Aussprache"), Klima ("weil er mich einmal so nett begrüßt hat") und Schüssel. (Dazu schweigt sie.) Auch Haider war einmal in ihrer Gunst. Danach tat sie Buße und sympathisierte mit "Schneewittchen", wie sie Glawischnig gerne nennt. Das Erstaunliche: Wem immer Frau S. ihr Vertrauen schenkt, es handelt sich stets um den Wahlsieger. Ihre Trefferquote bei Präsidenten: 100 Prozent.Nun, diesmal rochen wir eine Sensation. Denn wochenlang weigerte sich Frau S. - allen Umfragen zum Trotz - "den faden Fischer" zu wählen. Erst in letzter Sekunde, beim Ankreuzen an der Urne, war sie sich der Verantwortung als Siegwählerin bewusst. "Ferrero-Waldner hat sich einfach zu viel selbst gelobt!", sagte sie - und wählte "den faden Fischer". So viel zur alles entscheidenden Stimme. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 26.4.2004)