STANDARD: Man hört und liest schon relativ lange, dass der Computer in seiner traditionellen Form verschwinden und in Alltagsgegenstände integriert werden wird. Was ist denn in den letzten Jahren tatsächlich passiert?

Norbert Streitz: Es wurde nicht mehr nur darüber geredet, sondern in mehreren Forschungsprojekten wurden erste Prototypen angefertigt. Einige unserer Entwicklungen, die so genannten Roomware-Komponenten, sind inzwischen auch in markengeschützte Produkte umgesetzt worden, die man über Büromöbelhersteller beziehen kann.

STANDARD: Was kann man sich darunter vorstellen?

Streitz: Raumelemente wie Wände und Möbel wurden mit Informationstechnologie versehen. Auf interaktiven Tischen etwa kann man mit dem Finger schreiben und zeichnen und mit Gesten Objekte bewegen. Wir haben eine Software entwickelt, mit der man Dokumente mit einer einfachen Geste vervielfältigen und dann so drehen kann, dass alle am Tisch stehenden Besprechungsteilnehmer die Inhalte mit der richtigen Orientierung lesen und bearbeiten können.

STANDARD: Warum kaufen Firmen interaktive Möbel?

Streitz: Die Motivation resultiert meist aus den Arbeitsprozessen innerhalb des Unternehmens. Wenn man oft in Gruppen Brainstormings macht, gibt es zwar die tra- ditionellen Möglichkeiten, Ideen auf Flip-Charts und Skizzen auf Pinwänden zu erstellen. Nach dem Meeting besteht aber das Problem, die auf Papier festgehaltenen Ergebnisse weiterzubearbeiten. Wenn man interaktive Wände verwendet, hat man die Inhalte danach auch im Computer zur Verfügung. Außerdem ist eine interaktive Wand größer als ein normaler Bildschirm, das heißt: Es können mehrere Personen gleichzeitig arbeiten.

STANDARD: Sie beschäftigen sich aber nicht nur mit den formellen Besprechungssituationen. Wo liegen die anderen Schwerpunkte?

Streitz: In unserem EU-Projekt Ambient Agoras geht es darum, die informelle Kommunikation in Organisationen mit Informationstechnologie zu unterstützen. Der griechische Begriff Agora hat dabei Pate gestanden, weil er einen Ort bezeichnet, an dem Menschen nicht nur Waren anbieten, sondern es ist auch ein Marktplatz für Informationen und Meinungen. Durch die elektronischen Medien ist dieser Austausch nicht mehr auf einen Ort beschränkt, sondern im ganzen Gebäude möglich - im Foyer, im Treppenhaus oder im Flur.

STANDARD: Was kann man sich aber konkret darunter vorstellen?

Streitz: Beispielsweise gibt es die so genannte InforMall, eine interaktive Wand im Gang, über die man auf Informationen zu bestimmten Projekten oder Ereignissen in der Firma zugreifen kann. Eine Beispielanwendung bestand darin, firmeninterne Projekte anzubieten. Manager, die ein Projekt leiten wollten, konnten sich dafür bewerben und sich dann über die InforMall auch Mitarbeiter suchen.

STANDARD: Fürchten sich die Menschen nicht vor einem System, das immer mehr Daten sammelt und sich zunehmend der direkten Steuerung entzieht, wenn es mich etwa über einen Sensor automatisch erkennt?

Streitz: Die Menschen wünschen sich einerseits, dass die Interaktion einfacher gestaltet wird und die Technologie in den Hintergrund tritt. Der Computer als Gerät soll verschwinden, aber die Funktionalität überall verfügbar sein. Andererseits ist es oft notwendig, Informationen über die Nutzer zu erheben, um sie situationsgerecht zu unterstützen. Es ist richtig, dass die mit Sensoren erhobenen Daten auch missbräuchlich verwendet werden können. Deshalb ist es wichtig, dass Menschen selbst bestimmen können, wann welche Informationen von ihnen erhoben werden. Es sollte ihnen die Möglichkeit gegeben werden, sich gegenüber dem System zu anonymisieren oder mit unterschiedlichen Identitäten aufzutreten. Wir haben dazu die Personal Aura entwickelt. Damit kann man zwischen verschiedenen Persönlichkeiten auswählen und etwa als Projektmitarbeiter oder als Privatperson erscheinen oder für die Sensorumgebung überhaupt unsichtbar sein. Hier befinden wir uns aber noch am Anfang der Entwicklung.

STANDARD: Sie referieren derzeit auch auf der Usability-Konferenz CHI 2004 in Wien. Welche speziellen Anforderungen an die Usability ergeben sich aus den verschwindenden Computern?

Streitz: Wichtig ist die Transparenz, die es dem Benutzer ermöglicht, das Funktionieren der neuen Systeme zu verstehen. So wie man sich daran gewöhnt hat, den Computer über Maus und Tastatur zu bedienen, müssen die Menschen auch lernen, mit den versteckten Systemen umzugehen. Die Aufgabe der benutzerorientierten Systemgestaltung besteht nun darin, den Migrationsprozess von der Interaktion mit traditionellen Computern zu Systemen mit unsichtbaren Computern zu unterstützen.

STANDARD: Sie haben keine Angst, dass die realen sozialen Beziehungen von der Virtualität überlagert werden und irgendwann einmal auch verkümmern?

Streitz: Nein, Erfahrungen mit den bisherigen Technologien zeigen, dass vermehrte virtuelle Kontakte zu einer Zunahme persönlicher Begegnungen führen. Kontakte per E-Mail erzeugen den Wunsch, einander persönlich kennen zu lernen. Das ist dann die Basis und schafft Vertrauen für einen intensiveren Austausch mit neuen Medien. Die realen Kontakte werden nicht verschwinden, sondern durch die neuen Technologien angereichert.