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Foto: Reuters/HO
Seit Jahren kursiert in Russland die Idee eines "schwimmenden Atomkraftwerkes" (SAKW). Nun scheint das Projekt eines Schiffsreaktors auf einem Schleppkahn neuen Schub erhalten zu haben. Vergangene Woche wurde die Frage des Standortes geklärt: Wie Regierungsvertreter von Archangelsk an Russlands Nordküste bekannt gaben, wird die Station in ihrem Gebiet errichtet; konkret ist die Schiffsbauwerft "Sewmaschpredprijatije" vorgesehen.

Offiziellen Angaben zufolge ist Archangelsk deshalb ausgewählt worden, weil das Gebiet relativ erdbebensicher und sturmgeschützt sei. Behörden zeigen sich von der Sinnhaftigkeit der Energieproduktion mit Kernreaktoren des Typs KLT-40 überzeugt. Verwiesen wird auf deren Erprobung in Eisbrechern und Atom-U-Booten. Mit einer wissenschaftlichen Expertise wurde dieses einzigartige Experiment offiziell abgesegnet.

Doch diese löst bei Forschern und Umweltschützern Kopfschütteln aus. Schon allein die Expertengruppe, die das Projekt rechtfertigt, sei aus Leuten zusammengesetzt worden, die den Betreibern genehm und hörig sind, erklärt Vladimir Tschuprow, Atomexperte bei Greenpeace Russland, dem STANDARD: "Die Resultate der Expertise sind bisher unter Verschluss."

Geheime Ergebnisse

Auch Atomwissenschafter Vladimir Kusnezov, der bereits über SAKW publizierte, wendet sich in erster Linie gegen die praktizierte Intransparenz: "Informationen über Tests dieses Reaktortyps und seine Zuverlässigkeit werden absolut geheim gehalten. Und nur aufgrund der Erfahrung des Flottenbetriebs kann man nicht immer beurteilen, ob das Projekt modernen technischen Normen entspricht."

Ausgehend von den bisherigen Erfahrungen mit Schiffsreaktoren in Eisbrechern und Atom-U-Booten, beurteilen zahlreiche Experten SAKW als gefährlicher als andere Atomkraftwerke. "Wir wissen um die hohe Unfallrate. Bis heute sind vier Atom-U-Boote der Russischen Föderation gesunken. Und jährlich wächst die Zahl der Unfälle mit Eisbrechern", sagt Tschuprow. Auch seien bei SAKW manche Standardschutzvorkehrungen nicht vorgesehen, ebenso wie das Problem der Atommüllentsorgung offen sei.

Geringe Effizienz

Aber auch wirtschaftlich sei das Projekt nicht zu rechtfertigen. In Expertisen ist laut Tschuprow eine Haltbarkeit des Reaktors für 280.000 Stunden vorgesehen, obwohl bis heute die maximale Haltbarkeit nur die Hälfte ausmache. Zudem seien in den Berechnungen die Kosten für einen mehrmaligen Generatorenaustausch und Generalüberholungen genauso wenig berücksichtigt wie ein notwendiger Schutz der Anlage durch Angriffe. Die wirtschaftliche Effizienz überzeuge nicht, da die Kapazität solcher Reaktoren mit 70 Megawattstunden klein ist und nur für die Energieversorgung einer Stadt mit 50.000 Einwohnern reicht.

Und genau hier werde laut Tschuprow eine Gefahr offensichtlich, die in Bezug auf das Projekt bestehe: China, mit dem Russland über eine Kofinanzierung verhandelt, und Indien hätten das größte Interesse am Bau dieses SAKW, obwohl für ihre Bevölkerungsanzahl solche Stromquellen irrelevant seien. Diese und andere Länder wie etwa Indonesien seien laut Tschuprow aber an hochangereichertem, sprich waffenfähigem Uran interessiert - und auf Schiffsreaktoren werde aus Platzgründen immer 60 Prozent angereichertes Uran verwendet.

"Die Pläne des russischen Atomministeriums, SAKW auch in anderen Länder zu verbreiten, ist äußerst gefährlich hinsichtlich der Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen. Das waffenfähige Uran, das in Schiffsreaktoren enthalten ist, reicht für die Herstellung Dutzender Atombomben", warnt Kusnezov.

Die Idee zu AKW im Wasser kam erstmals 1969 in den USA auf, scheiterte jedoch am Widerstand von Anrainerstaaten und Bürgerprotesten. Und diesbezügliche Vorhaben Kanadas wurden aufgrund der Problematik der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen aufgegeben. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27. 4. 2004)