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Los Angeles - Seine wenigen Bücher zählen zum Schonungslosesten bis herauf zu American Psycho. Dessen Autor, Bret Easton Ellis, verdankt Hubert Selby einiges. Man könnte Der Dämon, Selbys 1976 erschienene Studie über einen erfolgreichen, aber gelangweilten Wallstreet-Mann, der die Lust am Bösen entdeckt und zu morden beginnt, durchaus auch als ungleich eindringlicheres Original zur 1991 erschienenen Nacherzählung betrachten.

Wie immer im Leben von Hubert Selby, wurde es dem Autor nie gedankt. Bevor Selby vor einigen Jahren in Pension ging und mit der Verfilmung seines Hauptwerks Letzte Ausfahrt Brooklyn im Jahr 1989 durch den deutschen Regisseur Uli Edel eine späte Wiederentdeckung erfuhr, musste er sich als Hausmeister in Los Angeles durchschlagen und hatte das Schreiben längst aufgegeben.

Hubert Selby Jr. wurde 1928 in die Armut des New Yorker Stadtteils Brooklyn hineingeboren und brach frühzeitig die Schule ab, um die allein erziehende Mutter als Taglöhner an den Docks zu unterstützen. Nach dem Zweiten Weltkrieg und seinem Dienst in der Handelsmarine zog er sich in Deutschland eine derart schwere Tuberkulose zu, dass er insgesamt vier Jahre in deutschen Kliniken lag.

1950 kehrte er mittellos mit einer halben Lunge und zehn Rippen weniger verbittert nach New York zurück. Er schlug sich mit McJobs durch, nahm Drogen, verbrachte längere Zeiten in Heilanstalten, saß im Gefängnis.

Als nach sechs Jahren hartem Kampf gegen die eigenen Dämonen 1964 Selbys Debüt, Letzte Ausfahrt Brooklyn, erschien, sechs lose zusammenhängende Kurzgeschichten aus den New Yorker Slums, wusste der Autor, was hier illusionslos verhandelt wird. Kriminalität, Prostitution, Drogenhandel. Verzweiflung, Gewalt, unvorstellbare Grausamkeiten und durch nichts gerechtfertigter Hass und Selbsthass bestimmen das Schicksal der Protagonisten. In Großbritannien war das Buch lange Zeit verboten.

Erzählt wird hier mit einer harten, knappen Sprache, die von vulgärstem Slang und drastischem Naturalismus ebenso geprägt ist wie von poetischer Überhöhung und einem verzweifelten Ringen um einen Stil, der immer mehr will, als bloß sein Thema eins zu eins abzubilden.

Auch der Begriff Hoffnung kommt bei Selby durchaus vor, die Sehnsucht nach einem besseren Leben, das Entkommen aus dem Teufelskreis. Sie wird ebenso konsequent immer wieder zerstört.

Als 1971 Mauern erschien, die Gewaltfantasien eines vermeintlich zu Unrecht Inhaftierten, lebte Selby mit Frau und zwei Kindern von der Sozialhilfe. Niemand wollte die Tiraden eines Mannes lesen, der das grundsätzliche Gefühl hat, "um sein Leben betrogen worden zu sein".

Auch die von ähnlichen Motiven geprägten, wenigen Anschlusswerke brachten Selby kaum über die Bereiche der Underground-Literatur hinaus: Der Dämon aus 1976, Requiem für einen Traum aus 1978, Lied vom stillen Schnee 1986 und schließlich Selbys letzter Roman, Willow Tree aus 1998, an dem er, mittlerweile in Los Angeles beheimatet, auch gesundheitsbedingt über ein Jahrzehnt lang schrieb. Hier schlägt der zornige alte Mann in einer Schilderung der Bronx beinahe versöhnliche Töne an. Wenn schon nicht Leben, so werden hier Seelen gerettet. Beinahe.

Hubert Selby ist am Montag in Los Angeles mit 75 Jahren seinem lebenslangen Lungenleiden erlegen. Selby 2002 in einem Interview: "Erstens: Man bereitet sich darauf vor zu sterben, denkt noch einmal über sein Leben nach und weiß: Man hat es vermasselt. Alles, das ganze Leben. All dieses Elend, für nichts! Zweitens: Noch mal das Ganze!" (Christian Schachinger/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28. 4. 2004)