Foto: Mandelbaum Verlag
Mit dem Aspekt der sexualisierten Gewalt in NS-Konzentrationslagern hat sich die Forschung bislang wenig bis gar nicht beschäftigt. Ein Grund mag in der gesellschaftlichen Einstellung zu Sexarbeit liegen, die sich bis heute in Verdrängung und Moralisierung auch im wissenschaftlichen Milieu äußert. Der viel rezipierte NS-Forscher Eugen Kogon schrieb beispielsweise in "Der SS-Staat" über Sexzwangsarbeiterinnen, sie hätten sich "bis auf wenige Ausnahmen in ihr Schicksal ziemlich schamlos gefügt" und Wolfgang Sofsky sprach noch 1993 über eine "Hure im Bordell". Zweifelsohne kommt hier der männliche Blick auf eine frauenspezifische Thematik besonders augenscheinlich zu tage.

Tabu-Thema

Diese Lücke zu füllen, also einerseits jene betroffenen Frauen selbst zu Wort kommen zu lassen, und gleichzeitig wissenschaftlich sexualisierte Gewalt im NS-Regime zu erforschen, vermag eine neue Publikation der Sozialwissenschaftlerinnen Helga Amesberger, Katrin Auer und Brigitte Halbmayr: "Sexualisierte Gewalt. Weibliche Erfahrungen in NS-Konzentrationslagern" (Mandelbaum Verlag, 2004) analysiert die Lebensberichte von über 40 Frauen, hauptsächlich Überlebende aus dem Frauen-KZ Ravensbrück, in denen sie ihre Erfahrungen mit sexueller Gewalt, sexuellen Grenzüberschreitungen an Körper und Seele, aber auch Mutterschaft, Menstruation und Sexualität im Lager beschreiben. Für Helga Amesberger liegt die späte Aufdeckung dieses Aspekts der NS-Gewaltherrschaft unter anderem an der Stigmatisierung von Sexarbeiterinnen damals wie heute: "Die Opfer hatten bislang große Scheu, überhaupt darüber zu reden, teils weil sie traumatisiert sind, teils, weil sie aufgrund ihrer Tätigkeit im Lager und natürlich auch anschließend stigmatisiert wurden. Die Häftlinge haben ihre Wertvorstellungen ja nicht vor dem Eingang ins KZ abgelegt".

Definition

Helga Amesberger, Katrin Auer und Brigitte Halbmayr haben sich bewusst dazu entschieden, mit dem Begriff der sexualisierten Gewalt im Unterschied zu sexueller Gewalt zu arbeiten, weil sie sich nicht nur die physischen Übergriffe auf weibliche Körper aufzeigen wollten. Es sollte jedes Übergehen von sexueller Selbstbestimmung, jede Missachtung der sexuellen Identität von Frauen zum Thema gemacht werden können.

Frauenbild der Nazis

Als sehr nützlich für die Lektüre des Buches erweist sich der weite theoretische und historische Hintergrund, den die Autorinnen zur Auswertung der Interviews liefern. Wesentlich zum Verständnis sexualisierter Gewalt im NS-Regime ist die Geschlechterideologie des Nationalsozialismus, die als Zuspitzung der bürgerlichen Moral verstanden werden kann: einerseits das weibliche Ideal der Mutter und der Hüterin der privaten Ordnung, konträr dazu die des Mannes als Fundament der Nation und der Gesellschaft. Die "arische" Frau wurde als "reine Mutter" stilisiert, auf die "andere Frau" wurden die angeblich triebhaften, wilden, zügellosen und bedrohlichen Aspekte der weiblichen Natur projiziert.

Der weibliche Körper wurde auf zweierlei Arten funktionalisiert: Einerseits sollte er gebären, andererseits galt er als Abreaktionsmaschine sexueller Bedürfnisse von Männern. Dass lesbische Frauen "stets geschlechtsbereit" waren, wie es der nationalsozialistische Justizminister 1934 ausdrückte, verhinderte eine strafrechtliche Verfolgung, die bei männlichen Homosexuellen bis zur Todesstrafe reichte. Sexualität zwischen Frauen galt nicht als Angriff auf die Männlichkeit und wurde folglich nicht als derart schädlich für die Nation eingestuft.

Um - nach Himmler - die Homosexualität einzudämmen und die Arbeitsleistung der Häftlinge zu maximieren, wurden schon bald Häftlings- und SS-Bordelle in KZs eingerichtet. In den Lagerbordellen arbeiteten hauptsächlich als "asozial" eingestufte Frauen, also Frauen, die wegen ihres "unsittlichen Lebenswandels" eingesperrt wurden. Zu bedenken gilt hierbei, dass die Gesetzgebung für "unsittliches Verhalten" außerhalb der Lager immer restriktiver wurde: "Es reichte schon, als Frau in einer Gegend zu wohnen, wo Prostitution ausgeführt wurde, um als 'unsittlich' eingestuft zu werden", so Amesberger. Auch Prostituierte, die sich der geforderten Kasernierung und staatlichen Kontrolle von Sexarbeit widersetzten, wurden als "Asoziale" in KZs eingeliefert.

Sexuelle Gewalt gegen Frauen war aber nicht nur "organisiert", sondern zeigte sich auch in mutwilligen Vergewaltigungen und Übergriffen an KZ-Häftlingen, die auch Jüdinnen betrafen. "Die gesetzlichen Bestimmungen für Prostituierte in den Lagern, dass sie volljährig, 'Arierinnen' und Prostituierte sein mussten, wurde von der SS auf allen Ebenen gebrochen", so Amesberger. Dem Aspekt der "Freiwilligkeit" kann die Autorin ebenso wenig abgewinnen: "Wir wissen, dass für die Frauen im KZ die oberste Maxime war, zu überleben. Eine Meldung zur Sexarbeit war außerdem mit diversen Versprechungen verknüft, wie zum Beispiel einer Freilassung nach sechs Monaten. Allerdings ist kein einziger Fall aufgezeichnet, bei dem dies auch wirklich so eingetreten wäre. Unter diesen Bedingungen von Freiwilligkeit zu reden, halten wir für unzulässig". Vor dieser Perspektive wird auch klar, warum sich viele betroffene Frauen (und auch Männer) nicht über das Erlebte zu berichten trauten: Der implizierte Vorwurf von Gesellschaft und Wissenschaft, selbst dafür verantwortlich gewesen zu sein. (freu)