In Oberhausen artikuliert sich anno 1962 dringender Reformbedarf: Alexander Kluge (re.), Enno Patalas (vorne M.) und andere stellen das "Oberhausener Manifest" zur Diskussion.

Foto: Kurzfilmtage Oberhausen



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kurzfilmtage.de

Grafik: Festival
Eine Institution wird 50. Die dennoch jung gebliebenen "Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen" lassen aus diesem Anlass ihre wechselvolle Geschichte Revue passieren: auf der Leinwand und in Form einer lesenswerten Publikation.


Oberhausen - Ein Festival, das ist zum einen jährlich wiederkehrende Routine. Interessant wird es dann, wenn man dem Unwägbaren Raum gibt. Ausgerechnet im Ruhrgebiet hat man es geschafft, sich über die Funktion als Spielstätte hinaus als Ort der Auseinandersetzung - hier: mit dem vielerorts ungeliebten Format "Kurzfilm" - zu etablieren.

Nicht zuletzt aufgrund von Auseinandersetzungen wie dieser: 1962 nutzte eine Gruppe junger deutscher Filmschaffender - darunter Alexander Kluge oder Edgar Reitz - die Kurzfilmtage Oberhausen, um eine Erklärung zu veröffentlichen. Die Wahl der damals achten Ausgabe des Festivals dafür war kein Zufall: Der Kurzfilm wurde von den Unterzeichnern programmatisch als "Schule und Experimentierfeld des Spielfilms" definiert. Ihre Forderungen bezogen sich auf die Einrichtung wirtschaftlicher und politischer Rahmenbedingungen für dessen Produktion.

Die knappe A4-Seite ist als "Oberhausener Manifest" inzwischen fester Bestandteil deutscher Filmgeschichtsschreibung und Mythos zugleich. Sie gilt als ein Initialmoment der Erneuerung des deutschen Kinos - wenngleich dessen Proponenten nur zum Teil zu den "Oberhausenern" zählten. Sie steht jedoch auch, schreibt Kluge heute, für eine "zweite Öffentlichkeit", die "den Bruch von 1945 betonte und auf soziale, solidarische Reform und gesellschaftliches Bewusstsein setzte".

Die Geschichte von 50 Jahren Oberhausen lässt sich also auch als Kulturgeschichte der Bundesrepublik lesen. Unter dem Titel Kurz und klein ist anlässlich von 50 Jahren Kurzfilmtage bei Hatje & Cantz eine umfangreiche Anthologie erschienen, die eben dieses leistet und neben einer fortlaufenden Chronik der Festivalgeschichte auch in Form von Gesprächen, historischen Texten und gegenwärtigen Bestandsaufnahmen Rückschau hält sowie Ausblicke vornimmt.

Die erste Ausgabe des Festivals fand 1954 noch unter dem Namen "Westdeutsche Kulturfilmtage" statt und war im Umfeld der örtlichen Volkshochschule entstanden. Erst 1959 wurde der Begriff Kurzfilm in den Titel übernommen, der aus heutiger Sicht etwas betuliche Untertitel "Weg zum Nachbarn" blieb bis in die 90er erhalten.

Zum erklärten Programm des Festivals gehörte nämlich nicht zuletzt die Einbindung von Filmschaffenden der Ostblockstaaten, zumal der DDR. Welchen Affront dies im politischen Klima der 50er- und 60er-Jahre darstellte, kann man zum Beispiel anhand des Briefwechsels zwischen der Stadt Oberhausen und dem damaligen, für die Vergabe von Bundesfördermitteln zuständigen Bundesinnenminister Hermann Höcherl aus den Jahren 1963 bis '65 nachvollziehen - ein Streitpunkt: das Kontingent von Regisseuren "aus der SBZ".

Im Lauf der Jahrzehnte, unter sich ändernden politischen Rahmenbedingungen, traten zunehmend andere Debatten in den Vordergrund. Neue ästhetische Standortbestimmungen - etwa die stärkere Berücksichtigung des Avantgardefilmschaffens oder die Aufnahme von Videoarbeiten - und die fortwährende Selbstreflexion haben dafür gesorgt, dass sich Oberhausen heute als ein weitläufiges Forum für unterschiedlichste Arbeiten präsentiert.

Was ein Kurzfilm ist . . .

Der Begriff Kurzfilm schließt sie vor allem im Sinne einer Maßeinheit zusammen: Musikvideos oder Arbeiten aus dem Kontext der Medienkunst stehen längst gleichberechtigt neben kurzen Spiel-, Animations- oder Dokumentarfilmen. Wurden 1954 noch rund 60 Filme vorgestellt, hielt man im Vorjahr bei über 5000 Einreichungen. Alleine die Wettbewerbe umfassten 145 Arbeiten aus 46 Ländern. Rahmenprogramme, die einzelne Filmschaffende (heuer: Jayne Parker und Yamada Isao) oder Themen in den Mittelpunkt stellen, haben das Feld zusätzlich erweitert.

Während des diesjährigen Festivals (29. 4.-4. 5.) werden die unterschiedlichen Schwerpunkte, Herangehensweisen durch die Jahrzehnte noch einmal auf der Leinwand anschaulich gemacht:

Angela Haardt, die Vorgängerin des derzeitigen Kurzfilmtage-Leiters Lars Henrik Gass, hat für Eine etwas andere Geschichte. 50 Jahre Kurzfilme in Oberhausen 15 Programme zusammengestellt, die von Agnès Varda über Roman Polanski bis George Lucas ein bemerkenswertes Spektrum von Kurzfilmveteranen versammeln. Heute, Donnerstag, wird die Jubiläumsausgabe vom deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder eröffnet. (DER STANDARD, Printausgabe, 29.4.2004)