Berlin/Hamburg - Die gegenwärtigen Schwierigkeiten der USA im Irak, ein Jahr nach der offiziellen Verkündigung des Endes der Kampfhandlungen, beschäftigen am Donnerstag mehrere europäische Zeitungen:Berliner Zeitung

"Ein Jahr ist es her, dass George W. Bush mit der ihm eigenen Arroganz das Ende aller größeren Kämpfe im Irak verkündete. Das Jubiläum liegt dem US-Präsidenten vermutlich schwer im Magen, denn ausgerechnet dieser Tage toben um die Städte Falluja und Najaf die heftigsten Gefechte seit der Besetzung Bagdads durch US-Truppen im April 2003. Doch während die amerikanischen Belagerer in ihren zensierten Frontmeldungen über eigene Opfer immerhin berichten, ist über die Lage in den eingeschlossenen Städten kaum etwas zu erfahren. Allein im sunnitischen Falluja leben 300.000 Menschen, und ihre Versorgung ist längst nicht mehr gewährleistet. Flüchtlinge berichten von katastrophalen Zuständen und zahlreichen zivilen Opfern infolge amerikanischer Bombenangriffe. Dennoch findet sich kaum ein europäischer Regierungspolitiker, der öffentlich protestiert - auch keiner von denen, die erst vor wenigen Tagen und völlig zu Recht Israel für die so genannte 'gezielte Tötung' des Hamas-Führers Rantisi verurteilten. Dabei ist das, was sich in Falluja abspielt, ein noch viel massiverer Völkerrechtsbruch. Laut Genfer Konvention und Haager Regeln dürfen Zivilisten niemals zum Ziel militärischer Angriffe werden. Und Aktionen von Besatzungstruppen sind auf den unmittelbaren Selbstschutz und den Schutz ihrer Einrichtungen zu beschränken. Vielerorts scheint in Vergessenheit geraten zu sein: Die Besetzung des Irak war eine Aggression und damit völkerrechtswidrig. Der Widerstand gegen die Besatzer mag zwar auch von politischen Finsterlingen instrumentalisiert werden - illegitim ist er deshalb nicht."

Der Tagesspiegel, Berlin

"Die Amerikaner sind in der Klemme: Die Stadt Falluja bekommen sie nicht unter Kontrolle. Täglich sterben Soldaten und Zivilisten. Ein Ausweg ist nicht in Sicht. Die Sache zieht sich hin. Immer mehr Menschen sterben, Soldaten, Rebellen, Zivilisten. Allein im April sind 115 US-Soldaten im Irak getötet worden. Das sind genauso viele wie während des gesamten Krieges. Über die Zahl der getöteten Iraker gibt es nur Schätzungen. (...) Was tun? Je länger diese Frage unbeantwortet bleibt, desto offenkundiger wird das Dilemma. Sicher, die US-Regierung kann ihre seit langem angedrohte Großoffensive starten. Einen Vorgeschmack davon gibt es jetzt. Mit Kampfflugzeugen, Artillerie und Präzisionswaffen gingen die Marines gegen die Aufständischen vor. Viele Bewohner sympathisieren mit den Rebellen. Genau das macht die Lage prekär. (...) Eindringlich warnt der UN-Sondergesandte Lakhdar Brahimi vor einer weiteren Eskalation. Die Konsequenzen einer großen Konfrontation 'könnten dramatisch und lang anhaltend' sein. Eine militärische Lösung gebe es nicht. Doch worüber soll verhandelt werden? Die Aufständischen haben offenbar nur ein Ziel: Amerika soll zum Abzug gezwungen werden. Das Abgeben ihrer Waffen lehnen sie ab. Für sie ist Falluja zum Symbol des Widerstands geworden."

Die Zeit "Der militante Islamismus hat totalitäre Wurzeln. Doch er ist auch ein Nebeneffekt der Globalisierung. Das wird von den Verteidigern der Freiheit gern vergessen. Man kann über die amerikanischen Neokonservativen sagen, was man will: Sie haben die Gleichgültigen daran erinnert, dass man sich mit Massenmördern vom Schlage eines Saddam Hussein nicht abfinden darf. Mit diesem moralischen Argument, so es denn nicht nur taktisch gemeint war, hatten die 'Neocons' Recht. Doch in allem anderen haben sie sich geirrt. In dem Glauben, ein Krieg im Irak werde den Terrorismus besiegen; in der Überzeugung, Amerika könne seine schützende Hand über die Welt legen wie einst das römische Imperium. Das neokonservative Projekt liegt in Trümmern, und die Propagandisten eines künftigen Hegemons sind kleinlaut geworden. Das Desaster der militärischen 'Lösung' führt zurück zu einer Frage, die unter den imperialen Blütenträumen in Vergessenheit geriet und die konservative Intelligenz ebenso spaltet wie die linke. Diese Frage ist an Schlichtheit nicht zu überbieten und lautet ganz einfach: Ist Bin Laden ein Nachfolger von Hitler, Stalin und Mao und damit der geistige Wiedergänger des totalitären Denkens? Oder handelt es sich beim islamistischen Terror um eine Begleiterscheinung der Globalisierung mit sozialen und kulturellen Ursachen? Diese Frage scheidet die Geister und trennt die Welten. (...) In dieser Frage steckt die Behauptung, dass man den Islamismus nicht nur ideengeschichtlich, sondern auch soziologisch betrachten muss. Nicht nur als Nachkömmling totalitärer Urmuster, sondern als Begleiterscheinung einer rücksichtslosen Weltgesellschaft, die bis in den letzten Winkel der Erde alle Verhältnisse durchpflügt". (APA/dpa)