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Einst Objekt der Begierde immer neuer Kolonisatoren, geht Malta (hier die Hauptstadt La Valletta) selbstbewusst und kapriziös in die Europäische Union.

Foto: APA/Tourismusamt Malta
Der Journalist Saviour Balzan unterzieht seine Inselheimat einer wohlwollend-kritischen Prüfung. Mit dem Ergebnis, dass es die selbstbewussten und rekordsüchtigen Malteser verstanden haben, auch gegenüber der EU ihre Einzigartigkeit zu bewahren – und sich als Mitglied der Union dennoch werden ändern müssen.

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In meiner 20-jährigen Journalistenkarriere habe ich mehrmals über die Mittelmäßigkeit von Malta und seinen Bewohnern geschrieben. Und doch habe ich von Malta auch als einem besonderen Ort gesprochen. Tatsächlich ist Malta ein einzigartiger Platz. Weniger als 400.000 Menschen bevölkern diesen Fußbreit, der mit seinen 312 Quadratkilometern ein wenig kleiner ist als die Stadt London.

Vor 60 Jahren stellte sich die prinzipielle politische Frage, ob Italienisch oder Englisch unsere Sprache sein soll. Dankenswerterweise ermunterte Großbritanniens Angst vor Mussolinis Faschismus die Kolonialregierung, das von den Arbeitern und Bauern gesprochene Maltesisch zu fördern.

Die Malteser sind sehr eigenwillig, sie sprechen ihre eigene Sprache und sind sehr stolz darauf. Wiewohl sie sich weigern, sie als eine Form des Arabischen mit einer guten Beimischung italienischer Wörter anzuerkennen.

Seit die Araber vor Hunderten von Jahren Malta regierten, führen die Malteser dieses Erbe fort. Malteser sind felsenfest römisch-katholisch, ein konservativer und unternehmerischer Bund. Auf dem Papier macht die Gesellschaft einen nicht sehr erfolgreichen Eindruck, aber der ist falsch – denn tatsächlich sind die Malteser sehr begütert. Im Verhältnis zur Anzahl der Einwohner fahren auf Malta mehr Mercedes und BMW als sonst wo in Europa. Über 75 Prozent aller Malteser leben in Eigentumswohnungen. Als die Regierung gegen einen Malteser vorging, der nicht deklariertes Vermögen im Ausland hielt, stellte sich heraus, dass Malteser allein in England über 500 Millionen Euro undeklarierter Bonds und Fonds hatten.

Die vielen und unterschiedlichen Kolonisatoren, die Malta in Besitz nahmen, trugen dazu bei, dass die schmale, unebene Insel auf die Weltkarte kam. Die Chevaliers de Malte griffen tief in ihre Taschen und bauten die wunderbarsten Paläste, Befestigungen und Kirchen. Napoleon setzte dem abrupt ein Ende, aber kurz später – nach dem maltesischen Aufstand gegen die Franzosen – übernahmen die britischen Kolonisatoren die Macht auf Malta. Die Briten sahen Malta vorwiegend als militärische Festung. Deswegen prolongierten sie die Macht der katholischen Kirche. Sie regierten das Land für weitere 150 Jahre bis zur Unabhängigkeitserklärung 1964.

Malteser halten sich gern für den Mittelpunkt allen Geschehens. Sie wollen glauben, dass sie alle Rekorde im Guinness-Buch brechen. Daher werden Ihnen alle Malteser erzählen, dass sie weltweit die südlichste Bastion des römischen Katholizismus mit 97 Prozent Katholiken sind, dass sie 1565 den Einfall der Ottomanen zurückgeschlagen und der Belagerung drei Monate widerstanden haben.

Und dass sie von 1940 bis 1943 der am meisten bombardierte Ort der Welt waren und dennoch nicht aufgegeben haben. In der Geschichte haben die Malteser erreicht, was ihnen im internationalen Fußball nicht gelingt.

Jetzt vollbringt es Malta nochmals insofern, als wir der kleinste EU-Mitgliedsstaat werden. Und trotz allem haben es die Malteser geschafft, sich spezielle Bedingungen nicht nur für die Frühlingsjagd und Eigentumsrechte für Malteser und Ausländer auszuhandeln, sondern auch die Anerkennung des Maltesischen als offizielle Sprache durchzusetzen, obwohl die meisten durchaus fließend Englisch sprechen und die meisten Regierungsdokumente in Englisch verfasst sind.

Malta ist ein rauschender Ort, obwohl sich dort mehr Gebetsstätten als sonst irgendwo auf der Welt befinden. Maltas soziales und kulturelles Flair ist dynamisch, elektrisierend, liberal, sexy und verführerisch. Abtreibung, Scheidung und Pornografie mögen illegal sein, aber Malta bietet ein Paradies für alle, die einen „heidnischen“ Lebensstil suchen. Fern von der Hysterie über Europa wird der Beitritt eine Feinabstimmung für die maltesische Art, Dinge anzupacken, bringen – und zwar durch den Schock, wirkliche Vermögenswerte deklarieren zu müssen. So wird er auch die Gewohnheit ändern, über seine eigenen Verhältnisse zu leben. Und er wird die Praxis von Extrazöllen zum Schutz der Kleinindustrie und zur Unternehmensführung mit unorthodoxen Methoden beenden. (Übersetzung: Eduard Steiner/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 30.4./1./2.5.2004)