Von einem Treffen österreichischer Industrieller vor einigen Wochen wird berichtet: "Na bitte, der Kerry (demokratischer Kandidat für die US- Präsidentschaft) hat früher auch Kohn g'heißen!", sagte einer. Großes Gelächter in der Runde. Es war wahrscheinlich gar nicht so bös' gemeint. Aber es entspricht der Feststellung im großen Bericht des "European Monitoring Center on Racism and Xenophobia" (EUMC) in Wien, wonach in Österreich gewalttätige Übergriffe gegen Juden in den Jahren 2002/03 selten waren, in der österreichischen Gesellschaft aber verbaler und mentalitätsmäßiger Antisemitismus ziemlich verbreitet sei. Das EUMC, und damit indirekt die EU, wurde kritisiert, weil sie einen ersten Bericht über die Situation in den EU-Ländern nicht veröffentlichte, angeblich weil sie nicht die Rolle islamischer jugendlicher Täter zu sehr betonen wollte.

Ein zweiter, vor kurzem offiziell veröffentlichter Bericht (eumc.eu.int ist eine detaillierte Auflistung des "neuen Antisemitismus" in Europa. Die Rolle des islamischen Antisemitismus wird dargestellt, allerdings für manche Organisationen wie den "European Jewish Congress" nicht ausreichend, sodass er einen "Gegenbericht" herausgeben wird.

Gibt es eine Welle eines "neuen Antisemitismus" in Europa? Zweifellos, und das Neue ist der Zusammenfluss von Strömungen der alten Rechten, neuen Linken und des radikalen Islamismus. Die Sache wird so ernst genommen, dass die USA und Deutschland (konkret Colin Powell and Joschka Fischer) eine Mega- konferenz der 55 Staaten der OSZE abhielten. Bewacht von 4000 Polizisten, hielten Dutzende Politiker und Mitglieder von NGOs zwei Tage lang Reden, die von vielen als Wiederholung des Selbstverständlichen (es gibt einen neuen Antisemitismus, und man muss ihn bekämpfen) empfunden wurden. Manche Teilnehmer kritisierten, dass die Rolle des islamischen Radikalismus auf der Tagung der OSZE, die ja bis nach Zentralasien hinein reicht, nur gestreift oder (wie in der Rede von Powell) vermieden wurde.

Bei einer Vorbereitungskonferenz diverser NGOs, darunter des American Jewish Committee und des Zentralrats der deutschen Juden, wurde das wesentlich deutlicher diskutiert. Der Gelehrte Jehuda Bauer sprach von der Existenz einer "totalitären, genozidalen Ideologie", die auch Europa erobern wolle. Abe Foxman von der "Anti-Defamation League" wies darauf hin, dass etliche arabische Staaten, die mit der OSCE affiliiert sind, gegen die Erwähnung des islamischen Antisemitismus Lobbying betrieben, betonte aber, dass "die wichtigste Errungenschaft dieser Konferenz sei", dass von einigen Teilnehmern das "Tabu des islamischen Radikalismus" gebrochen wurde.

Zur Frage, wann Kritik an Israels Besatzungspolitik legitim und wann sie antisemitisch sei, gebe es keine Definition, sagte ein amerikanischer Delegierter – "But you will know it, when you see it."

Eine weitere wichtige Errungenschaft der Konferenz ist wohl, dass sie stattgefunden hat. Hauptbotschaft war: Wir wollen, dass das Problem des neuen Antisemitismus zur Kenntnis genommen wird, und wir stehen mit unserem politischen Willen dahinter. Wobei deutlich spürbar war, dass vor allem die Amerikaner (und die Deutschen) Druck machten. Konferenzen über Antisemitismus tendieren dazu, den Überzeugten zu predigen. Aber immerhin gibt es jetzt (zusätzlich zur Erklärung der EU-Kommission vom Februar) eine Deklaration des Willens von 55 Staaten, das Problem nicht zu ignorieren. (DER STANDARD, Printausgabe, 30.4./1./2.5.2004)