In einer aus seinem Arbeitszimmer im Bundeskanzleramt übertragenen Radiorede verkündete Engelbert Dollfuß am 1. Mai 1934 die neue Verfassung.

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Die Wiedereinberufung des Parlaments kam nicht mehr infrage, und in seiner Rede auf dem Trabrennplatz am 11. September 1933 kündigte Engelbert Dollfuß die Ersetzung der von den politischen Parteien getragenen Demokratie durch einen "Ständestaat" an.

Die Ideen dazu kamen vor allem von dem österreichischen Universitätsprofessor Othmar Spann, einem scharfen Gegner des Marxismus, der den Staat auf berufsständischer Grundlage ummodeln wollte, aus der katholischen Soziallehre des Freiherrn Karl von Vogelsang und auch aus der Enzyklika "Quadragesimo anno" von Papst Pius XI. (1931); über die Heimwehr, die dem Parlamentarismus in ihrem "Korneuburger Eid" abgeschworen hatte, drängte Mussolini auf ein faschistisches Österreich.

Keine "Republik"

Dollfuß gewann den früheren Bundeskanzler Otto Ender, einen Vorarlberger Christlichsozialen, der den Ruf eines gemäßigten Politikers hatte, für die Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfs. Aber der vorgelegte Text war noch gar nicht nach dem Geschmack des zum autoritären Kurs fest entschlossenen Regierungschefs. "Österreich ist eine berufsständische Republik", hatte Ender formuliert. Das Wort "Republik" musste verschwinden.

Der Artikel 1 der Verfassung lautete nun: "Österreich ist ein Bundesstaat. Der Bundesstaat ist berufsständisch geordnet und besteht aus der bundesunmittelbaren Hauptstadt Wien und den Bundesländern." Dass die politische Wirklichkeit selbst diesen Aussagen in keiner Weise entsprach, wird noch - in der nächsten Folge dieser Serie - zu erläutern sein.

Die vom Parlament 1918 vorgelegte, von Hans Kelsen endformulierte Verfassung hatte in ihrem Arti- kel 1 bestimmt: "Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volke aus." Damit war kein autoritärer Staat zu machen. So stellte man der neuen Verfassung eine Präambel voran: "Im Namen Gottes, des Allmächtigen, erhält das österreichische Volk für seinen christlichen deutschen Bundesstaat diese Verfassung."

Blößen des Diktats

Das Regime war bemüht, dieser Verfassung ein Mäntelchen umzuhängen, das irgendwie die Blößen ihres von ihm diktierten Zustandekommens bedecken sollte. Solange das Parlament noch intakt war, hatte ein solches Gesetz keine Chance gehabt, die notwendige Zweidrittelmehrheit zu erhalten.

Nach den Ereignissen des 12. Februar 1934 waren den Sozialdemokraten alle ihre Mandate in sämtlichen formell noch bestehenden demokratischen Volksvertretungen aberkannt worden. Nun konnte sich die Regierung eine Vorgangsweise erlauben, die selbst der Dollfuß-Nachfolger Bundeskanzler Kurt Schuschnigg in seinen Memoiren als "parlamentarische Farce" bezeichnet hat.

Ausgetüftelt wurde sie von jenem Sektionschef Robert Hecht, der auch das kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz aus der Kaiserzeit ausgegraben hatte, mit dem Dollfuß seit Ausschaltung des Parlaments regierte. Nunmehr wurde der Rumpf-Nationalrat, bestehend aus Christlichsozialen, Heimwehr, Landbund und Großdeutschen, dazu eingeladen, sich selbst abzuschaffen, um so die rechtsstaatliche Kontinuität zu wahren.

Zu diesem zynischen Schauspiel waren bloß 76 und fast nur christlichsoziale und Heimwehr-Abgeordnete, also nicht einmal die Hälfte der 1930 gewählten, erschienen; sie beschlossen die Verfassung gegen zwei Stimmen der Großdeutschen. Von der für eine Verfassungsänderung vorgesehenen Volksabstimmung war natürlich keine Rede: Es war eine Verfassung des Verfassungsbruchs. (DER STANDARD, Print, 30.4./1.5./2.5.2004)