Wien - Zur Expansionsfreude der Wiener Festwochen gehört mit der anhaltenden Aufstockung des Programms auch dessen zeitliche Sprengung. Wenn das Festival am kommenden Freitag auf dem Rathausplatz feierlich eröffnet wird, dann werden einige Geladene schon wieder abgezogen sein: Drei Premieren finden vorgezogen statt:

Molnárs Harmonie im Rabenhof (5. 5.), eine ukrainische Produktion im Kabelwerk (6. 5.) und Ulrich Mühes starrsinnige Inszenierung von Heiner Müllers Der Auftrag, die als freie Produktion (von novapool) von Berlin aus auf Tournee geht. Sie war am Wochenende zweimal zu Gast in der großen Halle im Museumsquartier (DER STANDARD berichtete bereits von der Berlin-Premiere am 12. Jänner).

Im Auftrag gehen drei aus der frischen Erbmasse der Französischen Revolution stammende, nach Jamaika gesandte Emissäre infolge der napoleonischen Machtübernahme ihres Auftrags verlustig: Der vor Ort gegen die britische Krone zu organisierende karibische Sklavenaufstand findet nicht statt. Die Figur des Debuisson (Herbert Knaup) ist dabei der gespenstische Markstein inmitten dieser rostigen Geröllhalde der Geschichte (Bühne: Erich Wonder): Weil die Revolution abhanden kam, verlor dieser auch gleich die Idee davon!

Schauspieler und (hier) Regisseur Mühe zementiert den Text in ein vordergründig auf Müller hingedachtes (ästhetisch-theoretisches) Gebilde. Ein totes Gebilde, das mit jedem gesagten Wort den Text unter sich begräbt. Das Publikum schläft reihenweise.

An diesem knapp zweistündigen Abend wird man bedauerlicherweise weniger des Stückes gewahr als vielmehr des äußerliches Anlasses: Müllers 75. Geburstag und einer Verehrung im Rückwärtslauf; und das mit grandiosen Schauspielern wie Udo Samel oder Inge Keller. Sie erretten (als Antoine und Erste Liebe) im Alleingang der zerfallenen Inszenierung die zwei dichtesten Momente.

Einer mumifizierenden Kunst aus Lehm, Staub, Stein und Blut ist hier nicht zu entkommen. Man hefte sich an Ulrich Mühes Ansinnen, dem derzeit praktisch ungespielten Dramatiker periodisch die Treue zu halten: alle fünf Jahre eine Inszenierung. Es kann nur besser werden. (DER STANDARD, Printausgabe vom 03.05.2004)