Die Tragikomödie um die Likud-Abstimmung bezog ihr dramatisches Moment aus der Spannung zwischen alten Grundsätzen und neuem Pragmatismus. Der von Ariel Sharon vorgeschlagene Rückzug mag zwar bescheiden sein, aber es ist ein ideologischer Tabubruch, wenn erstmals ein (linker oder rechter) israelischer Premier die Räumung von Siedlungen zum Programm erhebt - und wenn das noch dazu Sharon macht, der jahrzehntelang den Ausbau von Siedlungen forciert hat. Verkalkuliert hat sich Sharon, weil er eine Abkürzung über ein Votum der Likud-Mitglieder suchte, wo jene, die sich vom "historischen Land Israel" nicht trennen können, noch immer in der Mehrheit oder zumindest die Aktiveren sind. Und so konnte der absurde Fall eintreten, dass weniger als zwei Prozent der Israelis in einer Frage entscheiden durften, die das Schicksal der Nation betrifft. Dabei gäbe es in der Gesamtbevölkerung und sogar unter den Likud-Wählern (zum Unterschied von den Likud-Mitgliedern), von denen Sharon ja sein Mandat hat, eine Mehrheit für den Rückzugsplan. Das israelische Publikum insgesamt und insbesondere die Rechte haben in den letzten Jahren nämlich einen bemerkenswerten Linksruck vollzogen. Manches, was ein alter Falke wie Vizepremier Ehud Olmert jetzt predigt, hört sich so an wie die Parolen, die man früher nur von der "Friede jetzt"-Bewegung vernommen hat. Wenn sogar Olmert und Sharon sagen, dass die jüdische Ansiedlung im Gazastreifen keine Zukunft hat, dann wird sie früher oder später auch verschwinden. Traurig ist nur, dass der Konflikt so verfahren und das Misstrauen so tief ist, dass das Unvermeidliche noch aufgeschoben wird. Noch trauriger ist, dass auch der Rückzug aus dem Gazastreifen, wenn es einmal dazu kommt, die Hamas nicht dazu bewegen wird, den Terror aufzugeben. (DER STANDARD, Printausgabe, 4.5.2004)