Peking/Wien - Wenn Frankreich, Spanien und Deutschland in diesen Wochen im UN-Sicherheitsrat auf ein neues Übergangsregime im Irak unter starker Beteiligung der Vereinten Nationen drängen, können sie auf einen gar nicht mehr so stillen Verbündeten zählen: China. Denn die Kritik am amerikanischen Unilateralismus ist heute der größte gemeinsame Nenner im Verhältnis der EU zu Ostasiens Wirtschaftsnationen im Allgemeinen und zu China im Besonderen.

Bei ihrem jüngsten Treffen in der irischen Kleinstadt Kildare haben die 15 Außenminister der alten EU und die 13 Amtskollegen der Asean-Staaten sowie Chinas, Südkoreas und Japans eigens eine längliche Erklärung über den Nutzen von Multilateralismus und Gemeinsinn in der internationalen Politik produziert. Das 1996 vor allem von Frankreichs gaullistischem Staatschef Jacques Chirac initiierte, jährliche Asien-Europa-Treffen (Asem) scheint so endlich seinen eigentlichen Zweck zu erfüllen: als politisches Forum, das mehr als die Hälfte der Weltwirtschaft vereint und bei dem die USA gleichzeitig nichts zu sagen haben.

Die EU-Staaten ebenso wie China tragen ihre Kritik an der US-Regierung von George W. Bush mittlerweile subtiler vor. Umarmung statt Zurückweisung ist die Taktik. So schwingt sich etwa Thierry Dana, Sektionschef für Ostasien und die Pazifikregion im Pariser Außenministerium, zu einem Plädoyer für ein möglichst enges Verhältnis mit den USA auf und beharrt dann doch auf einem politisch delikaten Vorhaben, gegen das Washington opponiert: die geplante Aufhebung des Waffenembargos der EU gegenüber China, das seit der Niederschlagung der Demokratierevolte von 1989 gilt. Dieses Embargo, so sagte Dana bei einem Treffen von Politikberatern aus der EU und Ostasien in Peking, sei "völlig überholt und nicht in Übereinstimmung mit den Beziehungen, die wir heute mit China haben".

Für China aber ist der Multilateralismus, den die meisten Staats- und Regierungschefs der alten EU so hochhalten, ein ganz anderer Segen. Die Idee vom harmonischen Miteinander der Staatenwelt fügt sich nahtlos in Pekings neues Konzept vom "friedlichen Aufstieg" ein.

"Als größtes Entwicklungsland der Welt hat China den Weg eines friedlichen Aufstiegs gewählt und konzentriert sich im Innern auf die Modernisierung - solange es das sicherheitspolitische Umfeld erlaubt", schrieb Xu Jian, Vizepräsident des China Institut für internationale Studien jüngst in einem programmatischen Aufsatz. Peking spricht nun plötzlich von "gemeinsamer Sicherheit" - eigentlich ein Begriff Egon Bahrs, des deutschen SPD-Politikers und Vordenkers der Entspannungspolitik während des Ost-West-Konflikts -, und Chinas Staats- und Parteichef Hu Jintao kündigte zuletzt auf dem Boao-Forum auf Hainan, der Gegenveranstaltung zum Weltwirtschaftsforum in Davos, eine "neue Art der Partnerschaft an, gekennzeichnet durch gegenseitigen Nutzen und gegenseitigen Beistand".

In Boao im April 2003 war es auch, wo der Begriff "heping jueqi" - "in friedlicher Weise aufsteigen" - erstmals für Chinas neue Außenpolitik lanciert wurde. Erst jetzt aber, nach dem Generationenwechsel in Peking, betont die Führung um Hu Jintao und Premier Wen Jiabao den Willen zu einer aktiven Rolle auf der Weltbühne. 45 bis 50 Prozent des chinesischen Bruttoinlandsprodukts hängen mittlerweile ohnehin vom Außenhandel ab; der Energiebedarf wächst rasant.

Für Peking, das 150 Jahre lang mit kolonialer Besatzung, Bürgerkrieg und Kulturrevolution beschäftigt war, ist diese Politik des ausgestreckten Arms ein Novum. Für Chinas Nachbarn in Fernost klingt sie nach Wiederkehr des alten Kaiserreichs, das seine Tributstaaten um sich schart. (DER STANDARD, Printausgabe, 4.5.2004)