Wien - Im Alltag genügen oft Essensreste zwischen den Zähnen, um sein Gegenüber peinlich zu berühren. Die Kunst hingegen folgt in der Definition dessen, was zu einem gegebenen Zeitpunkt als peinlich erachtet wird, komplizierteren Regeln.

Trotzdem deckt bereits diese banale Szene zwei Punkte des kuratorischen Ansatzes von Michaela Pöschl und Tanja Widmann ab: Erstens liegt das Peinliche immer im Standpunkt des Betrachters, und zweitens ist Peinlichkeit eine meist unangenehme, aber immer sehr eindringliche körperliche Wahrnehmung.

Eine sehr subjektive Rezeption der feministischen Kunstgeschichte bestimmt folglich auch die Zusammenstellung der künstlerischen Arbeiten, anhand derer dieser Zustand derzeit gezielt herbeigeführt werden kann.

Mit den reproduzierten Arbeiten von Louise Bourgeois, Zoe Leonhard, Hannah Wilke, Judy Chicago und Carolee Schneemann befindet man sich zunächst auf einem recht abgesicherten Terrain, das in der historischen Distanz einen sehr reflektierten Blick auf die Peinlichkeiten von aktionistischen Performances und essenzialistischen Kunstpraktiken ermöglicht.

Als prägnantes Symbol weiblicher Sexualität ist die Vagina in diesen frühen, hauptsächlich amerikanischen Arbeiten stets präsent: Carolee Schneemann liest in der Performance Interior Scroll (1975) einen Text vor, den sie aus ihrer Scheide zieht, Hannah Wilke präsentiert in Seven Untitled Vaginal-Phallic and Excremental Sculptures (1960-63) abstrahierte Versionen und bei Judy Chicagos Dinner Party (1979), die heute als Ikone der feministischen Kunstgeschichte gilt, zierten Vaginadarstellungen gleich Dutzende Keramikteller.

Louise Bourgeois ist mit ihrer Arbeit Costume for a Banquet (1978) vertreten, dass sie in einem formal an Sexualorgane angelehnten Kostüm zeigt, welches sie eigens für die imaginierte Verspeisung des Vaters entworfen hatte.

Auf institutionskritische Arbeiten - Arbeiten Mierle Laderman Ukeles und eine der jüngsten Performances von Andrea Fraser - wird mit der Intervention der amerikanischen Künstlerin Zoe Leonhard bei der Documenta IX verwiesen: Schauplatz war die Neue Galerie in Kassel, in der Leonhard die klassischen Akte von Frauen mit Fotografien von Vaginas kontrastierte, um so auf die wenigen Künstlerinnen zu verweisen, die es ins Museum geschafft haben, und zugleich den verlogenen bürgerlichen Blick auf den nackten Frauenkörper zu entlarven.

Die präsentierten Reproduktionen von Jeff Koons und Annie Sprinkle, aber auch der Film von Hans Scheirl sind ebenso wie Ariel Schrags Comics nicht nur um einiges jünger, sondern im Umgang mit ihrer sexuellen Orientiertheit schon von einer ganz anderen und offenherzigen Bestimmtheit getragen, die den herrschenden Blick aber nach wie vor ganz vehement stört.

Pulloverarbeit

Peinlichkeiten waren auch den Wiener Aktionisten nicht fremd, die mit Günter Brus und seinem Film Pullover (1976) - neben Petunia von Penelope Georgiou und Apologies von Anne Charlotte Robertson eine unbedingt sehenswerte Produktion - assoziativ in der Ausstellung repräsentiert sind. Zu sehen ist die nackte, schwangere Frau von Günter Brus, die einen Pullover strickt und damit wieder zurückführt zu dem Slogan "The personal is political", mit dem die Frauenbewegung der 70er-Jahre auf die unsichtbare reproduktive Arbeit im Haushalt aufmerksam machen wollte.

"Komisch, wie einen manche Dinge stören", steht auf dem Rücken von Jutta Koethers Katalog, in dem sie eine Lebenskrise mit Bildern und Gedichten sehr poetisch und persönlich festhält. Dass diese Arbeit mindestens als ebenso cool wie peinlich wahrgenommen werden kann, zeigt die Gratwanderung dieses kuratorischen Experiments.

"Bloß nichts festschreiben", steht an der Wand der Kunsthalle, und damit eröffnet sich ein Raum, in dem der spannende Versuch unternommen wurde, die Dichotomie "öffentlich versus privat" einmal unter ganz anderen Vorzeichen zu überwinden. (Christa Benzer/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 5. 5. 2004)