Seymour Hersh hat Details der Misshandlungen irakischer Gefangener aufgedeckt.

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Richard Perle, ehemaliger Berater des US-Verteidigungsministeriums und lautstarker Falke, bezeichnete den Reporter Seymour Hersh einst als "das journalistische Äquivalent zu einem Terroristen". Hersh hatte 2003 in einem New Yorker-Artikel die Frage gestellt, warum Perle sich mit Adnan Khashoggi, einem berüchtigten saudi-arabischen Waffenhändler aus der Iran- Contra-Ära, zu einem Mittagessen getroffen habe.

Perle drohte mit einer Klage wegen übler Nachrede, reichte diese aber nie ein. Eine besondere Ironie an der Sache war, dass Perles Bezeichnung "Terrorist" weit mehr Basis für eine Klage geboten hätte als Hershs Artikel.

Seymour Hersh wurde 1937 gemeinsam mit einem Zwillingsbruder in Chicago als Sohn eines Geschäftsmannes geboren und verbrachte seine Kindheit und Jugend in dieser Stadt. 1958 absolvierte er den ersten Studienabschnitt in Geschichte an der University of Chicago, gab das Studium jedoch bald auf und widmete sich ausschließlich dem Journalismus. Seymour Hersh hat schon häufig Staub aufgewirbelt. Zum ersten Mal machte der Enthüllungsjournalist im Jahr 1969 mit einem Bericht über ein von US-Soldaten begangenes Massaker im vietnamesischen Dorf My Lai Furore - heute wird My Lai oft als Anfang vom Ende des Vietnamkrieges bezeichnet.

Für diese Artikel erhielt er 1970 den Pulitzerpreis. Auch für sein Buch über Henry Kissinger, "The Price of Power", in dem er scharfe Kritik an dem ehemaligen US-Außenminister übt, erhielt er mehrere Buchpreise. In einem New Yorker-Artikel im Mai 2003 widmete er sich der Frage, ob Vizepräsident Dick Cheney und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld Geheimdienstberichte außer Acht gelassen hätten, um ihre Argumente für eine Invasion des Irak nicht zu entkräften.

Nun steht Hersh wieder im Mittelpunkt der Ereignisse mit seinem Enthüllungsbericht und den dazugehörigen Grauen erregenden Fotos über die Misshandlungen irakischer Gefangener durch US-Soldaten: Er ist nicht mehr der rasende Reporter wie zu Zeiten von Vietnam, sondern ein überlegt und vernünftig wirkender älterer Mann, dem man eine gewisse Verzweiflung über die Untaten ansieht, über die er aus Gewissensgründen glaubt berichten zu müssen. In einem Interview erklärte er vergangene Woche: "Das Militär steht doch in loco parentis für diese jungen Soldaten. Mir ist klar, dass hier total dabei versagt wurde, diese Kinder, die wir in die Armee bringen, zu schützen."

Seine Frau Elizabeth Klein, die heute als Psychoanalytikerin tätig ist, lernte Hersh während seines Studiums kennen. Das Ehepaar hat drei Kinder, deren Babybilder noch heute auf dem recht chaotischen Schreibtisch von Hersh in seinem bescheidenen Büro in Washington stehen.

(Susi Schneider/DER STANDARD, Printausgabe, 6.5.2004)