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Lucia Annunziata

Foto: Reuters
43 neue Rai-Funktionäre, allesamt aus den Reihen des Rechtsbündnisses: Das war für Lucia Annunziata zu viel. Die Chefin der italienischen Rundfunkanstalt tritt zurück: ein "beispielloser Angriff auf die Meinungsfreiheit".

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Dienstagnachmittag spuckte ein Faxgerät in einem Mailänder Hotelzimmer drei handgeschriebene Seiten mit 43 Namen aus. Die brisante Sendung kam vom Generaldirektor der Rai, Flavio Cattaneo, und war an deren Präsidentin Lucia Annunziata gerichtet.

Zu diesem Zeitpunkt war die Ernennung von 43 neuen Rai-Funktionären aus den Reihen des Rechtsbündnisses beschlossene Sache. Wenig später segnete der Verwaltungsrat die Flut neuer Beförderungen diskussionslos ab.

"Beispielloser Angriff auf Meinungsfreiheit

Für die kämpferische Präsidentin des italienischen Staatsfernsehens zu viel des Guten. Die 54-jährige Journalistin kündigte ihren "unwiderruflichen Rücktritt" an. Annunziata sprach von einem "beispiellosen Angriff auf Meinungsfreiheit und Pluralismus" und warf dem Rechtsbündnis vor, die Rai "generalstabsmäßig zu vereinnahmen".

Ein Blick auf die Liste der 43 scheint ihr Recht zu geben. Massimo Ferrario, Vollblutpolitiker der Lega Nord, wird neuer Chef von Rai 2. Der Mediaset-Vertreter Alessio Gorla ist neuer Finanzdirektor. Damit entscheidet der ehemalige Wahlkampfleiter von Silvio Berlusconi darüber, für welche Produktionen Geldmittel zur Verfügung gestellt werden. Berlusconis enge Mitarbeiterin im Chigi-Palast Deborah Bergamini übernimmt die Marketing-Abteilung. Der Chefredakteur der Lega-Zeitung La Padania wird Organisationschef von Rai 2 und erhält eine neue Informationssendung. Der Lega-Vertreter Roberto de Anna wird Vizechef der Kino-Holding Rai Cinema. Franco Matteucci von der Nationalen Allianz übernimmt die Abteilung für neue Technologien, sein Parteikollege Alessandro degli Occhi wird neuer Chef von RaiNet.

Sie benötige "eine Serie kräftiger Tritte in den Hintern"

Lucia Annunziata war im März 2003 zur neuen Präsidentin der Rai ernannt worden. Ihre Möglichkeiten waren von Beginn an beschränkt. Denn sie sah sich im Verwaltungsrat vier Mitgliedern gegenüber, die ebenso dem Rechtsbündnis angehören wie Generaldirektor Flavio Cattaneo. Der Dauerkonflikt mit Cattaneo (Nationale Allianz) erreichte vergangene Woche seinen Höhepunkt, als der Generaldirektor die Überzeugung äußerte, Annunziata benötige "eine Serie kräftiger Tritte in den Hintern". Die anschließende Entschuldigung mit Rosenstrauß wies die Präsidentin zurück. Dass am Tag von Annunziatas Rücktritt das umstrittene Mediengesetz in Kraft trat, das Berlusconis Mediaset zusätzliche Werbeeinnahmen von über 1,5 Milliarden Euro ermöglicht, verdeutlicht die Entwicklung am italienischen Fernsehmarkt.

"Unerträgliche Zensur"

Auf Berlusconis Geheiß waren bereits im vergangenen Jahr die Sendungen der Journalisten Enzo Biagi und Michele Santoro sowie der Komiker Sabina Guzzanti und Lelio Luttazzi abgesetzt worden. Vor zwei Wochen hat die Moderatorin der meistgesehenen Rai-Tageschau TG 1, Lilli Gruber, die Redaktion verlassen. In einem Abschiedsbrief sprach die beliebte TV-Journalistin von "unerträglichen Zensurversuchen" und einem "täglich wachsenden Unbehagen" in der Redaktion. (Gerhard Mumelter aus Rom/DER STANDARD; Printausgabe, 6.5.2004)