Frankfurt/Zürich/Berlin - Die Ausweitung des US-amerikanischen Gefangenen-Misshandlungsskandals im Irak steht auch am Donnerstag im Zentrum der Kommentare der europäischen Presse:

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Frankfurter Allgemeine Zeitung

"Guten Morgen, Amerika! Allmählich dämmert es offenbar auch den Spitzen der amerikanischen Regierung, dass nicht nur in einem irakischen Gefängnis etwas fundamental schief gelaufen ist. Aufklärung der Taten und Bestrafung der Täter sind wichtig und notwendig. Aber der größere Schaden ist in der Öffentlichkeit entstanden. Dies zu spät erkannt zu haben ist ein großes Versäumnis des Präsidenten und seiner Berater. (...) Da die Vorwürfe gegen amerikanische Soldaten seit einiger Zeit bekannt waren, wäre es ein Gebot der Klugheit und des eigenen Interesses gewesen, diese schnell zu veröffentlichen, eine umfassende Untersuchung anzukündigen und die Öffentlichkeit soweit wie menschenmöglich daran teilhaben zu lassen. Was immer jetzt von 'unamerikanischen' Aktivitäten der Uniformierten geredet wird: Deren Verhalten war unmenschlich, aber nicht 'unamerikanisch'. Man sollte nicht einen imaginären Volkscharakter bemühen, sondern, Talleyrand abwandelnd, zugeben, dass die Vorfälle im Irak Verbrechen waren, der Umgang mit ihnen aber schlimmer als ein Verbrechen, nämlich ein Fehler..."

Neue Zürcher Zeitung

"Seit der Publikation der schockierenden Fotografien von Misshandlungen im irakischen Gefängnis Abu Ghoreib durch amerikanische Soldaten bemüht sich die Administration Bush verzweifelt, den politischen Schaden einigermaßen zu begrenzen. Dennoch wird der Misshandlungsskandal für die Regierung, die im Irak als Geburtshelferin für Demokratie und Menschenrechte auftreten wollte, immer peinlicher. Ein neuer Rückschlag ist das Eingeständnis der Heeresführung, dass im Irak mindestens zwei irakische Gefangene auf kriminelle Weise von Amerikanern getötet worden sind. (...) Unerklärlich ist, weshalb sich die beiden Amerikaner, die je einen Häftling im Irak umgebracht haben, nicht hinter Gittern befinden. Die Eingeständnisse sind klare Hinweise darauf, dass die fotografisch dokumentierten Vergehen in Abu Ghoreib keine Einzelfälle waren, sondern ein Teil von verbreiteten Missständen. Dass Regierungsmitglieder wie Verteidigungsminister Rumsfeld weiterhin von bedauerlichen Ausnahmen sprechen, hilft vor diesem Hintergrund nicht, Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen."

Die Tagdeszeitung, taz

"Die Katastrophe könnte kaum größer sein. Die Fotos von den Opfern amerikanischer Folterer im Irak haben den letzten Rest an Legitimation zerstört, den die USA für ihren Krieg vielleicht noch hatten. Nach der Lüge ueber die Massenvernichtungswaffen offenbart sich nun die Lüge über die humanitäre Absicht, mit der Bush den Krieg gerechtfertigt hat. Die Befreier vom Folterregime sind selber Folterer. Genau so werden die Bilder aus dem Bagdader Gefängnis wahrgenommen, zumindest jenseits der USA und ihrer unmittelbaren Verbündeten. Egal, was Bush in arabischen Fernsehsendern erzählt, man wird ihm nicht glauben. Schließlich hat er bisher ständig von Gut und Böse geredet, sich arrogant angemaßt, ein Land angreifen zu dürfen, um ihm angeblich Zivilisation und Demokratie zu bringen. Nicht nur daran ist er gescheitert. Die Folterbilder haben nun die Glaubwürdigkeit der USA, aber auch des Westens insgesamt zerstört."

Frankfurter Rundschau

"Wo im Nahen Osten jetzt das Zeichen für einen Neuanfang nötig wäre, plant das Weiße Haus seine Schadensbegrenzung mit der Oberflächlichkeit einer weiteren PR-Kampagne. Doch stehen dem Sorry von Sicherheitsberaterin Condelezza Rice auf Al Jazeera und dem verspäteten Präsidentenauftritt auf Al Arabiya viele Gesten unverminderter Arroganz entgegen. (...) Und statt die rechtliche Grauzone zwischen Anti-Terror-Krieg und Widerstandsbekämpfung durch unabhängige Rechtsexperten ausleuchten zu lassen, versetzt Washington jetzt ausgerechnet den Generalmajor von Guantanamo nach Irak, mit dessen Ratschlägen zur Häftlingsbefragung dort im November die Folterpraxis begann. Welch ein Signal!"

Financial Times

"Amerikaner haben Gefangene im Irak ermordet und gequält, und die Verantwortung dafür reicht bis zur Spitze des Verteidigungsministeriums. Rumsfeld war der führende Kopf für den glänzenden Kriegszug zum Sturz Saddam Husseins, aber er versagte beim Planen für die Zeit nach dem Krieg, etwa dabei, genügend Truppen für die Friedenssicherung bereitzustellen oder dafür zu sorgen, dass diese korrekt ausgebildet werden. Nur sein Rücktritt wird die Weltöffentlichkeit davon überzeugen, dass es Bush ernst meint, wenn er sagt, Abu Ghoreib sei nicht das wahre Gesicht Amerikas."

The Times

"Der Gerechtigkeit muss, wie Bush beteuerte, Genüge getan werden, und zwar für jedermann ersichtlich. (...) Bush beharrt darauf, dass das, was geschah, nicht das wahre Amerika widerspiegelt. Das ist sicherlich wahr, doch kann von anderen nicht einfach verlangt werden, das zu glauben. Die Vereinigten Staaten müssen stattdessen auf ihre Werte vertrauen und sich leidenschaftlich nach ihnen richten."

The New York Times

"Bei seiner Antwort auf die Wut vieler Moslems wegen des Skandals im Abu-Ghoreib-Gefängnis hörte sich Bush manchmal an, als würde er böse Araber dafür schelten, die guten Absichten der Vereinigten Staaten nicht zu würdigen. (...) Die Bush-Regierung hält an der unausführbaren Absicht eines von den Amerikanern kontrollierten Übergangs fest, einer Idee, die immer mehr den Bezug zur Realität verliert, je mehr Nachrichten von abscheulichen Missbräuchen im Abu-Ghoreib-Gefängnis jeden noch übrig gebliebenen irakischen Glauben an Washingtons gute Absichten begraben."

Tages-Anzeiger, Zürich

"Nicht weniger schlimm ist der Umgang der Regierung Bush mit den Nachrichten aus Abu Ghoreib: Der Präsident war spätestens Anfang Januar über die Misshandlungen informiert worden, doch dachte das Weiße Haus ebensowenig wie Rumsfeld daran, die amerikanische Öffentlichkeit oder den Kongress zu unterrichten. (...) Der Verteidigungsminister sollte nun entweder zurücktreten oder vom Präsidenten entlassen werden. Aber das wäre wahrscheinlich zu viel verlangt von einer Regierung, deren penetrante Selbstgerechtigkeit es nicht zulässt, Fehler einzugestehen. Rücktritt? Amtsenthebung? Nicht im Traum!"

El Mundo

"Beim Anstieg des Erdölpreises spielen viele Faktoren eine Rolle. Die Hauptverantwortung trägt jedoch das Weiße Haus in Washington, das den Persischen Golf in ein Schlachtfeld verwandelt hat. Gewalt und Unsicherheit zerschlugen die Hoffnungen auf eine baldige Erholung der Energiewirtschaft im Irak. Saudiarabien, ein treuer Verbündeter der USA, rückt zunehmend ins Visier der Terroristen. Für Länder wie Spanien, die Öl importieren müssen, sind die Aussichten alarmierend."

Süddeutsche Zeitung

"Es war keine Frage, dass der Pentagon-Chef innerlich vor Zorn schäumte. Doch man kann sich sehr wohl fragen, was ihn mehr aufbrachte: Die Tatsache, dass amerikanische Soldaten irakische Kriegsgefangene auf ausgesucht abscheuliche Weise misshandelten und sich dabei auch noch stolz vor Kameras in Positur warfen, oder dass diese Fotos den neuesten und womöglich schwersten Rückschlag für die Bemühungen der US-Administration bedeuten, sich aus den selbst geschaffenen Verstrickungen der Irak-Krise zu lösen. Manches spricht für die zweite These. Denn obschon Rumsfeld die Misshandlungen erwartungsgemäß als 'völlig unannehmbar und unamerikanisch' bezeichnete, ließ er es dabei auch bewenden. Eine Entschuldigung ging ihm nicht über die Lippen. (...) In der Tat: Diese Bilder werden für lange Zeit nicht ausgelöscht werden können. Die 'New York Times' vertrat sogar die Ansicht, dass diese Fotos für die arabische Welt das einzige und alles andere überragende Symbol des Irak-Krieges bleiben werden."

Der Tagesspiegel, Berlin

"Jeder Krieg braucht seinen Grund. Was war der US-Regierung zur Rechtfertigung ihres Irak-Feldzuges geblieben? Massenvernichtungswaffen gab es keine. Saddam Hussein und Osama Bin Laden arbeiteten nicht zusammen. Weder scheint die Lösung des Nahost-Problems einfacher, noch die arabische Welt sich demokratisieren zu lassen. Also die Moral. Ein Volk wurde befreit, ein Diktator gestürzt. Die Moral war gewissermaßen das letzte ihr verbliebene Argument, mit dem die Administration den täglichen Tod amerikanischer Soldaten als sinnvoll und ehrenhaft darstellte. Wenn Präsident Bush darüber sprach, tauchte in seiner Rhetorik regelmäßig eine Bemerkung auf, die ihm am meisten Applaus einbrachte: Die Folterkammern im Irak seien abgeschafft worden. Mit dieser Passage seiner Standardrede dürfte Bush künftig vorsichtiger umgehen. Vielleicht streicht er sie sogar, zumindest vorläufig."

Corriere della Sera

"Die Übergriffe im Irak öffnen einen Blick in die gewalttätigen Abgründe, von der eine Demokratie möglichst nichts wissen will, und sprechen zugleich ein geheimes Thema an, das denjenigen westlichen Ländern bekannt ist, die dem Terrorismus gegenüberstehen wie etwa Frankreich, Italien, Deutschland und Israel. Das Gesetz, internationale Konventionen sowie die Moral verbieten den Einsatz der Folter gegen Kriegsgefangene. Aber was ist mit dem großen Druck, Anschläge zu verhindern? Mit den Drohungen, damit ein Verdächtiger Geständnisse macht? Mit den psychologischen Erniedrigungen? Die Argumente dazu sind widerlich und die öffentliche Meinung weigert sich, sich mit ihnen zu beschäftigen."

Die Zeit

"Folternde US-Soldaten, auf diesen Beweis westlicher Niedertracht haben islamistische Terroristen nur gewartet: Aus derlei Demütigungen schöpfen sie ihre eigene Rechtfertigung. Die Bilder haben eine verheerende Wirkung. (...) Die gesamte Nahost-Politik der Regierung Bush wird an den Fotografien gemessen - einen Medien-Präsidenten wie diesen darf das nicht verwundern."

"Die US-Soldaten haben die Gefangenen nicht bloß roh angefasst, und sie handelten nicht in einer rechtlichen Grauzone. Sie haben gefoltert und sich deshalb eines Kriegsverbrechens schuldig gemacht. Denn spätestens seit der Haager Landkriegsordnung von 1907 und den Genfer Konventionen müssen Kriegsgefangene ehrenhaft behandelt werden. Dazu zählt auch das Verbot, aus ihnen mit Gewalt Informationen herauszupressen. Selbst nach dem Ende der Kampfhandlungen bleibt eine Besatzungsmacht an das Kriegsvölkerrecht gebunden. Zudem verbieten alle Menschenrechtskonventionen die Folter - wie ruchlos auch immer die Gefangenen selbst gehandelt haben mögen."

"Demokratien brauchen für ihre Kriege Moral - und im Fall Irak sollten die moralischen Ansprüche des Präsidenten sogar als höchstes Motiv herhalten. Amerikaner und Briten ging es um eine Mission: um die Verbreitung von Menschenrechten, Freiheit und Demokratie. An diesem hehren Anspruch müssen sie sich messen lassen. Außerdem: Zu Recht verlangt man von demokratischen Streitkräften mehr als von der Soldateska einer Diktatur." (APA/AFP/dpa)