Frankfurt/Berlin - Die Erschütterung der US-Administration durch den Gefangenen-Misshandlungsskandal im Irak steht auch am Freitag im Mittelpunkt zahlreicher europäischer Pressekommentare:

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Frankfurter Allgemeine Zeitung

"Verteidigungsminister Rumsfeld wird vom Präsidenten gemaßregelt und vom Streitkräfteausschuss des Senats zur Anhörung zitiert. Außenminister Powell ist wieder einmal ausgezehrt, frustriert und amtsmüde. Der Oberbefehlshaber im Irak und seine beiden Schlüsselminister sind in der Defensive, und ihre Verteidigungslinie ist perforiert. Der ewige Zwist zwischen State Department und Pentagon ist neu aufgebrochen. Wie viele schwere Planungsfehler der Zank um Kriegführung und Befriedung im Irak schon verursacht, wie viele Menschenleben er gekostet hat, kann man nur erahnen. Zuerst die irrige Annahme, die Bevölkerung werde die Besatzungstruppen mit offenen Armen empfangen, und dann das Versagen, nach dem Sturz Saddams die öffentliche Ordnung zu gewährleisten und wenigstens ein paar Massenvernichtungswaffen zu finden; des weiteren die Auflösung der kompletten irakischen Armee, um hernach Soldaten und Offiziere für die neuen Streitkräfte wieder zu rekrutieren; schließlich die Folterungen irakischer Gefangener in amerikanischem Gewahrsam. (...) Doch die Verfehlungen fordern ihren Tribut. Es ist der Präsident, der zu entscheiden hat, wenn sich seine Kabinettsmitglieder nicht einigen können. Doch der Präsident ist gezeichnet. 'Ich bin ein Kriegspräsident', sagt Bush über sich und gibt viele Millionen Dollar für eine Diffamierungskampagne gegen seinen Herausforderer John Kerry aus, weil dieser angeblich schwach in Sachen Verteidigung sei. Noch hat Bush seinen Krieg nicht verloren, aber gewonnen ist dieser Krieg noch viel weniger."

Handelsblatt, Düsseldorf

"Feixende US-Soldaten posieren hinter übereinander gehäuften nackten Körpern. Ein mit Umhang und Kapuze bedeckter Mensch steht auf einem Pappkarton, elektrische Kabel hängen an seinen Fingern. Ein Iraker, bedeckt mit Eis und eingewickelt in Zellophanfolie. Diese Bilder stammen nicht aus den Folterkammern Saddam Husseins, sondern aus dem von Amerikanern geführten Gefängnis Abu Ghoreib (...) Während Bush und seine Getreuen noch die Folterungen unter Saddam Hussein anprangerten und den Irakern und der Welt eine Oase der Demokratie und Freiheit versprachen, haben US-Soldaten zahlreiche Gefangene missbraucht, gedemütigt und - so ist zu befürchten - umgebracht. Die Fakten wurden bekannt, aber weder die militärische noch die politische Führung zog anfangs Konsequenzen daraus. Dieser geradezu routinemäßige Umgang mit dem bislang für unmöglich Gehaltenen erschüttert fast ebenso wie die Bilder selbst, die inzwischen weltweit verbreitet wurden. All die guten Absichten, mit denen Bush seinen Irak-Feldzug gerechtfertigt hat, sind durch die Folterbilder diskreditiert worden. Mindestens ebenso stark ist jedoch das Bild erschüttert worden, das Amerika von sich selbst hat. (...) Wie stark Bush verunsichert ist, zeigt sich auch daran, dass er jetzt öffentlich Rumsfeld an den Pranger stellt. In einer Administration, in der Loyalität die erste Pflicht ist, ein überaus ungewöhnlicher Vorgang. Die Verärgerung über den Verteidigungsminister reicht tief ins Lager der Republikaner hinein."

Der Tagesspiegel, Berlin

"Ist Donald Rumsfeld noch zu halten? Diese Frage beherrscht die amerikanische Debatte über die Folgen der Folteraffäre. Amerikas Wut über die Folterbilder sucht einen Schuldigen. In Rumsfeld scheint sie ihn zu finden. Ungewohnt kleinlaut hatte der sich bereits bei seiner Pressekonferenz vor wenigen Tagen präsentiert. Nun hat das Weiße Haus gezielt durchsickern lassen, dass Bush persönlich seinen Verteidigungsminister für dessen Umgang mit dem Skandal gerügt hat. Der Vorgang ist brisant. (...) Womöglich hat Bush die Entscheidung zur Entlassung von Rumsfeld bereits getroffen. Das zumindest würde erklären, warum der Präsident am Mittwoch nicht selbst, mittels einer expliziten Entschuldigung via arabisches Fernsehen, die Verantwortung für den Skandal übernommen hat. Viele hatten eine Entschuldigung erwartet, (...) erst am Donnerstag, nach einem Treffen mit Jordaniens König, sagte Bush dann die Worte, auf die die Welt gewartet hatte: 'Es tut mir sehr Leid'."

Frankfurter Rundschau

"Nach dem Vorwurf der Vertuschung der Folterpraktiken ist die Regierung Bush nicht nur ratlos in Irak, sondern auch unschlüssig an der Heimatfront. Ob vor Falluja und vor dem Verteidigungsausschuss: Überall haben sich die Schwierigkeiten so hoch aufgetürmt, dass - wenn überhaupt - nur Entschuldigungen und Eingeständnisse der eigenen Fehler neue Glaubwürdigkeit versprechen. Nach außen ist der Versuch der Abbitte mit George W. Bushs Ansprache an die arabische Welt aus Mangel an Demut gescheitert. Wie weit die Bereitschaft zur Selbstkritik im Wahlkampf reicht, werden die nächsten Tage und Wochen zeigen. Wenn Rumsfeld nicht zurücktreten muss, dürfte Bush auch den außenpolitischen Kurswechsel nicht mehr schaffen, den sich selbst führende Republikaner wie die Senatoren John McCain und Richard Lugar mittlerweile erhoffen."

The New York Times

"Vor einem Jahr, in den Tagen der 'erfüllten Mission', sah Donald Rumsfeld wie ein brillanter Taktiker aus. (...) Rumsfeld, mit seinem stählernen Grinsen und den 'Ich sage es, wie es ist'- Pressekonferenzen, kam einem Rockstar so nah wie niemand sonst im Bush-Kabinett jemals wieder. (...) Rumsfelds Wirkung hat sich in den vergangenen zwei Jahren gewandelt von größter Zuversicht zu Arroganz und dann zu fast absichtlicher Blindheit. Mit der Billigung des Präsidenten hat er amerikanische Truppen an einen Platz geschickt, dessen Natur und Gefahren er offenbar nie überprüfen ließ. (...) Es ist schon lange Zeit für ein neues Team und neues Denken im Verteidigungsministerium."

The Independent

"In der Geschichte des Nahen Ostens haben diese Bilder bereits den Status der schrecklichsten Bilder des Vietnamkriegs bekommen. (Gefängnis-Aufseherin) Lynndie (England) und ihr Freund waren nicht Teil einer besonders grausamen Einheit. Sie wurden angewiesen, diese verabscheuungswürdigen Dinge zu tun. Es ist Teil einer Kultur, einer langen Tradition, die bis zu den Kreuzzügen zurückreicht: dass der Moslem schmutzig, ausschweifend, unchristlich, einer menschlichen Behandlung unwürdig ist - was ziemlich genau das ist, was Osama bin Laden über uns im Westen sagt. Und unser illegaler, unmoralischer, verlogener Krieg hat jetzt diese Bilder hervorgebracht, die unseren Rassismus verraten. Der Kapuzenmann mit den Drähten an seinen Händen ist nun zu einem symbolischen Bild geworden, an das man sich genauso erinnert wie an das Bild des zweiten Flugzeugs, das in das World Trade Center rast."

Le Monde

"Wohin man den Blick in diesem komplizierten Orient auch wendet, der sich so schlecht für Experimente von Zauberlehrlingen eignet, ist Pessimismus angebracht. Kein Krisenherd, kein Konflikt, der sich nicht unter der Wirkung der Politik der Bush-Regierung verschlimmert zu haben scheint. Die israelisch-palästinensische Konfrontation gibt Anlass zum Verzweifeln. Für die Bush-Regierung hatte sie nie Vorrang. (...) In diesen Zusammenhang (wachsender Kritik an Washington) muss man die verheerende Wirkung der Aufdeckung der Folterungen im Irak stellen. Sie machen das bereits vom Umgang mit der Nachkriegszeit stark angekratzte Bild der USA vollends unglaubwürdig. Die Besatzung hat Islamisten neuen Antrieb gegeben, die nun ihre Anschläge in Saudiarabien vervielfachen. Das Ganze nimmt eine Wendung: hin zu einem monumentalen und tragischen Fiasko."

Tages-Anzeiger, Zürich

"Diese Berichte lösten schon vor Monaten interne Untersuchungen aus, die USA machten sich daran, die schlimmsten Peiniger zu bestrafen. Darum hat das Rote Kreuz im Fall des Irak zunächst darauf verzichtet, seine Kritik publik zu machen - anders als etwa im Fall Guantanamo: Da hat IKRK-Präsident Jakob Kellenberger wiederholt und zusehends vernehmlicher bekundet, dass sich für die Gefangenen auf dem US-Militärstützpunkt seit zwei Jahren nichts gebessert hat. Das IKRK muss leise sein, es wird stets nur so weit informieren, als es den Opfern nützt. Das ist gut so. Nur auf diese Art kann es seine einzigartige Rolle als unabhängige Wächterin des humanitären Völkerrechts wahren. Den USA und ihren Verbündeten sollen andere auf die Finger klopfen, um den Machtmissbrauch in Grenzen zu halten."

de Volkskrant

"Amerika scheint selbst sein ärgster Feind im Irak zu werden. Arroganz und Unfähigkeit gehen offenbar Hand in Hand. Das zeigt auch die Reaktion im Pentagon. Obwohl General Taguba schon Anfang März auf 'systematische' Misshandlungen hinwies, wurde erst Ende April eine Untersuchung der Verhörmethoden im Irak angeordnet. (...) Die Regierung von Präsident George W. Bush muss schnell und deutlich handeln. Das müsste beginnen mit der Öffnung der Gefängnisse für eine unabhängige Untersuchung (...). Dies wäre auch der ideale Moment, um wieder etwas Demut - eine Trumpfkarte für Bushs großes Vorbild Teddy Roosevelt - in der amerikanischen Botschaft an die Welt anklingen zu lassen."

Algemeen Dagblad

"Der Schaden als Folge des Fehlverhaltes amerikanischer Soldaten ist enorm. Damit wurde auch noch der letzte Rest von Vertrauen bei den Irakern verspielt. Der Rest der Welt sieht in dem Skandal eine zusätzliche Bestätigung für die Feststellung, dass sich die USA mit dem irakischen Abenteuer übernommen haben. (...) Präsident George w. Bush kann nicht mehr verhindern, dass der Irak-Krieg sein erstes Opfer in Washington fordert. Dabei steht vor allem um Donald Rumsfeld im Visier. Der Minister, der schon vor Beginn des Kriegs selektiv mit der Wahrheit umging, ist dafür verantwortlich, dass das Verteidigungsministerium die Folterpraktiken auch vor dem eigenen Parlament verheimlichen wollte."

La Repubblica

"Der Einsatz der Folter durch amerikanische Soldaten ist nicht eine Blume des Bösen, die zufällig erblüht ist und an der einige bösartige und sadistische Gefängniswäter Schuld tragen. Vielmehr ist er das Ergebnis einer neokonservativen Ideologie, die die Welt unterteilt in Schurkenstaaten, Reich des Bösen und terroristischen Dämonen auf der einen Seite und eines tugendhaften und von Gott bevorzugten Amerikas auf der anderen Seite. Die große Angst vor dem islamischen Fundamentalismus, der die Welt terrorisiere, hat die Angst vor dem christlichen und puritanischen Fundamentalismus vergessen lassen, der in Amerika an der Regierung ist."

Süddeutsche Zeitung

"Der Folter-Skandal ist nach einer Woche dort angekommen, wo er auch hingehört: im Zentrum der amerikanischen Politik. Es geht nicht um die korrekte Zahl der Misshandlungen, es geht nicht um die Form der Entwürdigung, es geht nicht darum, wer was wann wusste. Es geht um die politische Verantwortung und damit um den Rücktritt von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Rumsfeld ist sicherlich nicht anzulasten, dass Soldaten systematisch oder auch nur zufällig gefoltert und gedemütigt haben. Der Minister trägt aber die Verantwortung dafür, wie der Skandal behandelt wurde, nachdem er den Minister-Schreibtisch erreicht hatte. (...) Der politische Schaden für die USA ist so immens, dass selbst ein Rücktritt von Donald Rumsfeld keinen Ausgleich schaffen würde."

Corriere della Sera

"Nicht nur Rumsfelds Kopf steht jetzt auf dem Spiel, den derzeit bereits Spitzenleute der Demokraten sowie hochseriöse amerikanische Medien fordern, sondern die US-Strategie im Irak. Der Sturz Rumfelds, des Architekten des Irakkrieges und der Nachkriegszeit, vom Altar der Macht in den Staub ist das erste Anzeichen von Meinungsverschiedenheiten in der Regierung. Es handelt sich um einen Konflikt, der bereits anfängt, auch für die Popularität Bushs in den Meinungsumfragen Folgen zu haben. Aber es ist wahrscheinlich, dass Verteidigungsminister Rumsfeld die Krise überlebt." (APA/dpa/AFP)