Areva soll zwar weiterhin erfolgreich seinen Geschäften nachgehen - Aber die letzte Entscheidungsinstanz – die ist und bleibt in Frankreich weiterhin der Staat

Foto: Photodisc
Dunkle Anzüge und gedämpftes Geplauder unter Kristalllüstern: An diesem Frühlingstag in einem Pariser Stadtpalast ist die Crème der Atomwirtschaft vereint, um die neusten Geschäftszahlen des französischen Atomkonzerns Areva zu vernehmen. Durch eine Seitentür tritt eine jugendlich wirkende Frau herein, nickt dem ersten der umstehenden Männer zu. Der schaut kaum hin, grüßt von oben herab. Der Nächste, den die Frau im kurzen beigen Tailleur begrüßt, reagiert angemessener: "Bonjour, Madame la Présidente."

Anne Lauvergeon, 44-jährige Chefin von Areva, schwingt sich auf die Bühne, locker beginnt sie ihre Präsentation. So als befände sie sich vor einer Schulklasse und nicht vor der mächtigsten, exklusivsten und undurchschaubarsten Lobby im Staat. Die Fakten: 389 Mio. Euro Nettogewinn bei einem Umsatz von 8,3 Mrd. Euro, 50.000 Angestellte; Auftrag für den Bau eines Druckwasserreaktors in Finnland, Übernahme der Energieabteilung von Alstom.

Die Areva-Chefin dominiert die Runde mit dem Selbstbewusstsein einer Frau, die seit jeher weiß, was sie will. Die Lehrertochter aus Dijon schaffte es als Absolventin mehrerer Ingenieur-Eliteschulen auf Anhieb in den Be 2. Spalte raterstab des sozialistischen Staatspräsidenten Mitterrand. Nach dessen Abgang 1995 und Posten bei Lazard und Alcatel kam sie an die Spitze der Cogema, Herstellerin von Nuklearbrennstoff und Betreiberin der berühmt-berüchtigten Wiederaufbereitungsanlage in La Hague. Schon damals geriet Lauvergeon ins Kreuzfeuer interner Kritiker, die ihre fürstlichen Einkünfte anprangerten. Die resolute Physikerin und zweifache Mutter konterte – und organisierte den Bigbang der französischen Nuklearwirtschaft: Sie verschmolz Cogema mit der AKW-Bauerin Framatome zur Areva.

Frei zum Abschuss

Größer als alle US- oder russischen Konkurrenten, befasst sich der Staatskonzern mit der Uranförderung, Anreicherung, Herstellung von Kernbrennstäben sowie Bau und Wartung von Atomanlagen.

Mitte 2002, als in Paris die Rechte an die Macht kam, galt die als links etikettierte Lauvergeon als Abschusskandidatin. Sie überlebte. Jetzt aber muss sie sich auch gegen die andere Seite wehren, die Kritik der Grünen ernster nehmen als bisher. Erstmals hat ein französisches Gericht‑ einer Umweltorganisation Recht gegeben, die eine Areva- Uranmine wegen Wasserverseuchung geklagt hatte. Ein großer Fortschritt: 1986 hat die nationale Atomindustrie in Sowjetmanier behauptet, die Tschernobyl-Wolke habe an den Grenzen Frankreichs Halt gemacht. Die Mehrheit der Franzosen hat aber nichts gegen die 58 Atomkraftwerke, die den Strom aus den Steckdosen so billig machen.

Pariser Establishment

Lauvergeons schwierigste Gegner lauern aber nicht bei den Verts (Grünen), sondern im Pariser Establishment. Das goutiert ihre Ideen zur Modernisierung der französischen Atomwirtschaft und Privatisierung von Areva, der danach Übernahmen folgen sollen, überhaupt nicht. Altgediente Gaullisten um Staatspräsident Chirac sind dagegen, die zivile Kernenergie aus der Staatskontrolle zu entlassen und damit ganz von der militärischen Force de Frappe zu trennen.

Diese Kreise dominieren im allmächtigen Atomenergie- Kommissariat Frankreichs (CEA), das als Art Areva-Aufsichtsrat wirkt und im Hintergrund viele Fäden zieht.

Dieselben Kreise verlangen auch, dass Areva dem angeschlagenen Energie- und Transportkonzern Alstom zu Hilfe eilt und übernimmt. Lauvergeon ist dagegen. Als Kompromiss hat Areva bisher nur die rentable Energiesparte von Alstom übernommen, nicht aber TGV-, Schiffs- oder Kraftwerksbau.

Widerstand

Das letzte Wort in diesen Angelegenheiten ist aber noch nicht gesprochen. Wenn es Alstom noch schlechter gehen sollte, wird Lauvergeon wohl erneut Beistand leisten müssen, ob sie will oder nicht.

Und auch eine nur teilweise Privatisierung Arevas steht derzeit nicht zuoberst auf der Prioritätenliste der Regierung. Gleichzeitig bekräftigte der neue Wirtschaftsminister Nicolas Sarkozy Mitte April, dass Frankreich an dem Druckwasserreaktor der dritten Generation (EPR) festhalten werde.

Die Regierungsbotschaft an Anne Lauvergeon ist damit klar: Areva soll zwar weiterhin erfolgreich seinen Geschäften nachgehen, das neu wachsende Interesse an der Kernenergie ausnützen und von Asien über die USA bis nach Nordeuropa Reaktoren verkaufen. Aber die letzte Entscheidungsinstanz – die ist und bleibt in Frankreich weiterhin der Staat.(Stefan Brändle aus Paris, Der Standard, Printausgabe, 08.05.2004)