Die am 1. Mai 1934 verkündete Verfassung war darauf abgestimmt, dass alle Macht bei den Regierungsmitgliedern und letztlich beim Bundeskanzler lag. Für die Gesetzgebung wurden vier "vorberatende Organe" - Staatsrat, Länderrat, Bundeswirtschafts-und Bundeskulturrat - geschaffen, deren natürlich regimetreue Mitglieder aber nicht gewählt, sondern vom Bundespräsidenten ernannt wurden. Die Regierung war keineswegs an die Stellungnahmen dieser "Räte" gebunden.

Der Bundespräsident sollte nicht vom Volk, sondern von den Bürgermeistern aller Gemeinden aus einem Dreiervorschlag gewählt werden. Formell als beschließende Organe konzipiert, hatten Bundestag und Bundesversammlung keine reale Macht; ihre Mitglieder waren nicht gewählt, und sicherheitshalber erhielten sie auch keinerlei Immunitätsrechte.

Keine Parteien mehr

Statt der Parteien gab es die politische Dachorganisation der "Vaterländischen Front", statt der Richtungsgewerkschaften eine regierungskonforme Einheitsgewerkschaft. Ziel war die nach "Ständen" (Berufsgruppen) gegliederte Vereinigung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, Streiks und Aussperrungen wurden gesetzlich verboten. Die geplanten sieben "Stände" sollten die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen der jeweiligen Berufsgruppen verbinden - ein Ziel, das nur bei zwei davon erreicht wurde, nämlich beim Öffentlichen Dienst und in der Land-und Forstwirtschaft.

Die Angehörigen der ersten war ohnedies völlig dem Regime ausgeliefert, bei den Gutsbesitzern und Bauern gab es noch die von Dollfuß als Ideal hingestellten patriarchalischen Verhältnisse. Selbst der Heimwehrführer und Sozialminister Odo Neustädter-Stürmer war sich im Klaren darüber, dass den Arbeitern ihre eigenständigen Organisationen nicht weggenommen, sondern nur unter Regierungskuratel gestellt werden konnten. Auch das gelang insofern nicht, als sogar die ehemals christlichsozialen Arbeitnehmervertreter gegen den Stachel löckten und die illegale Linke in der Spätzeit des Ständestaats die Einheitsgewerkschaft erfolgreich infiltrieren konnte.

Der von der Verfassung proklamierte "Bundesstaat" war ein Widerspruch in sich, da die Autonomierechte der Länder (und der Gemeinden) beseitigt wurden. Auch auf diesem Gebiet war es mit dem "Ständestaat" nicht weit her, da die berufsständische Beschickung der Landtage nie verwirklicht wurde. Die Landeshauptleute wurden von der Regierung ernannt, die 1933 eingeführten Sicherheitsdirektoren blieben an ihrer Seite.

Um das im Herzen immer noch "rote" Wien ganz unter seine Fittiche zu bekommen, begnügte sich das Regime nicht allein mit der Vertreibung der sozialdemokratischen Gemeindeverwaltung, sondern nahm der nun "bundesunmittelbaren" Stadt auch den Status eines eigenen Bundeslandes. Der vom Bundespräsidenten zu ernennende Bürgermeister konnte vom Bundeskanzler jederzeit abberufen werden, Vizebürgermeister und Magistratsdirektor bedurften der Zustimmung des Kanzlers.

Nachdem der demokratisch gewählte Wiener Bürgermeister Karl Seitz aus seinem Amt buchstäblich weggeschleppt worden war, wurde zunächst als Bundeskommissär, dann als Bürgermeister der christlichsoziale Scharfmacher Richard Schmitz eingesetzt. Nach den Worten des ständestaatlichen Bundestagspräsidenten Rudolf Graf Hoyos sollte die Verfassung in Überwindung von Demokratie und Marxismus "auf den starken Fundamenten wahrer christlicher Lebensauffassung, nach den Richtlinien der Enzyklika ,Quadragesimo anno' und nach dem großen Vorbild faschistischer Staatsgestaltung ein neues festes Haus" bauen.

Es war - ohne Zustimmung des Volkes - auf Sand gebaut. (Manfred Scheuch/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8./9. 5. 2004)