US-amerikanische und britische Soldaten foltern Irakis ... und das Erstaunen ist groß: "Amerikaner tun so etwas nicht" und schon gar nicht die Soldaten Ihrer Majestät, versichern uns die Verantwortlichen in Pentagon, White House und Downing Street. Ist die Evidenz unübersehbar, dann kann es sich nur um Einzeltäter handeln - gestörte Persönlichkeiten, also Ausnahmen bzw. Abweichungen von der menschlichen Norm.

Natürlich ist es schmerzlich, wenn Vertreter von Nationen, die die Menschenrechte auf ihre Fahnen geschrieben haben, solche Handlungen setzen und nicht die "Büttel" einer "unzivilisierten" Nation. Abnormal ist es deswegen noch lange nicht. Spätestens seit Anfang 1970 wissen wir, wie die psychologischen Mechanismen in absoluten Institutionen wie Gefängnissen funktionieren.

Damals führte Philip Zimbardo im Keller der Universität Stanford das so genannte "Prison-Experiment" durch, das leider nur durch eine zweitklassige und reißerische Verfilmung ("Das Experiment") bekannt wurde.

Als Versuchsteilnehmer rekrutierten die Forscher - leider nur - männliche Studenten der Universität, deren psychologische Normalität durch Vortests und Untersuchungen sichergestellt war. Diese allem Anschein nach völlig "der Norm entsprechenden" und absolut durchschnittlichen Studenten wurden dann nach dem Zufallsprinzip entweder der Gruppe der Wärter oder der Gefangenen zugeteilt und schließlich in den "Gefängnisalltag" entlassen.

Frische Gurken zu saurem Gemüse

Während ihrer achtstündigen Schicht begannen die Wärter bereits nach kurzer Zeit die Gefangenen zu drangsalieren. Besonders in der Nacht, als sich die Wärter unbeobachtet wähnten, wurden die gefangenen Mitstudenten unter anderem gezwungen, sich zu entblößen und homosexuelle Praktiken zu simulieren. Nach einigen Tagen musste das Experiment abgebrochen werden, weil das zutage tretende Verhalten der Versuchsteilnehmer "Wärter" wie "Gefangene" zunehmend an Leib und Leben bedrohte.

Wenn diese und ähnliche Studien uns etwas lehren können, dann das: Es sind die institutionellen Strukturen, innerhalb derer Menschen handeln, die solche Taten ermöglichen. Uns allen wohnt eine evolutionäre Disposition inne, Fremdgruppenmitglieder und Außenseiter abzuwerten und zu drangsalieren, aber sie wird im Normalleben durch moralische Normen kanalisiert und sozial kontrolliert.

Unter den Bedingungen struktureller Abhängigkeit, psychischen Drucks und persönlicher Gefährdung - und fallweise vielleicht auch unter stillschweigender oder expliziter Zustimmung der Vorgesetzten - ist Folter und Misshandlung anderer "normal". Die Konzentration auf so genannte individuelle "Auffälligkeiten" beim Versuch, den Ursachen solcher Perversionen auf die Spur zu kommen, führt in die Irre.

Wie Phil Zimbardo in einem Brief an den Verfasser vor kurzem formulierte, ist "das Fass des Krieges mit Essig gefüllt, der frische Gurken in saures Gemüse verwandelt. Unter diesen Bedingungen kann die Mehrheit aller im Grunde guten Männer und Frauen immer und überall zu Tätern des Bösen werden." Interessanterweise wurde die ursprüngliche Studie für die US-Marine durchgeführt... (DER STANDARD, Printausgabe, 10.5.2004)