PhotoDisc
Unter der Leitung der Spitzenberater Manfred Reichl von Roland Berger Strategy Consultants und Gabriele Werner von Neumann & Partners brachte der Standard-Roundtable in Budapest zum Thema "Karriereperspektiven in Ungarn" zwiespältige Aufschlüsse. "In Ungarn gibt es nur 248 registrierte österreichische Arbeitnehmer", lautet die etwas ernüchternde Auskunft des Handelsdelegierten der Wirtschaftskammer Österreich, Peter Rejtö, "jedoch über 3500 österreichische Unternehmen, die hier tätig sind." "Wissensmäßig sind die Österreicher den gut qualifizierten Ungarn um nichts mehr voraus, in Ungarn herrscht dasselbe Level wie bei uns, die meisten Jungen haben zwei Abschlüsse", ergänzt Rainer Hager, Vorstandsmitglied und Geschäftsführer der Fundamenta-Lakáskassza Bausparkasse AG, deren Hauptaktionär Wüstenrot ist. Rejtö weiter: "In den letzten Jahren ist die Zahl der Österreicher zurückgegangen, viele Führungspositionen wurden von Ungarn übernommen. Die Sprache spielt dabei eine wichtige Rolle. In Top-Positionen sehe ich heute keine großen Möglichkeiten, die Posten sind besetzt, und das mittlere Management ist für Westeuropäer zu wenig attraktiv. Allerdings gibt es eine Flut von kleinen und mittleren Unternehmen, die in Ungarn investieren möchten, aus Angst, zu spät zu kommen. Generell sind auch große Unternehmen schlecht auf die Erweiterung vorbereitet. Hier gibt es viel zu tun." Natürlich arbeiten weit mehr Österreicher als die registrierten 248 vom fixen Standort Österreich aus in Ungarn, und die Chancen für junge, hungrige High Potentials werden auch nicht schlecht beurteilt. Rainer Hager: "Es werden weiter Firmen aus Westeuropa nach Ungarn gehen, und die brauchen ein Management für den Wissenstransfer. Ältere, etablierte Manager kommen nicht hierher, das bedeutet eine Chance für High Potentials. Wichtig ist die Landessprache! Österreicher sollten Ungarisch lernen und nicht Französisch." Gabriele Werner, Managing Partner bei Neumann & Partners, tätig im Top Executive Search, prognostiziert das Ende des Expatriate-Status in Ungarn und Osteuropa: "Topqualifizierte Manager, etwa im Bankenwesen, können in jedem der Beitrittsländer arbeiten, aber zu lokalen Bedingungen und ohne Rückfahrticket." Rainer Hager: "Ja, die Gültigkeit meines Rückfahrtickets ist sehr, sehr unsicher." Die Gehälter für das höhere Management haben sich in Ungarn allerdings längst an westliches Niveau angepasst. Eine weitere interessante Jobmöglichkeit für Westeuropäer und Österreicher in Ungarn sieht der Head of Pharmacy Business des israelischen Pharmakonzerns Teva Pharma Ltd., Jordan Koev: "Wir sind ein wichtiger Arbeitgeber in Ungarn mit 4000 Arbeitsplätzen, wir produzieren in erster Linie Generika. In Österreich sind wir noch nicht tätig, denken aber natürlich laufend über Expansion nach. Dafür bräuchten wir natürlich qualifiziertes Management, das von Ungarn aus die neuen Märkte betreut." Ungarn am Scheideweg Jordan Koev, Peter Rejtö und Diskussionsleiter Manfred Reichl, der für Roland Berger Central und Eastern Europe managt, sind sich in einem einig: Ungarn zählte in den Neunzigern durch die Privatisierung von Banken, Energie und Telekom zu den Musterländern in Europa mit hohen Wachstumsraten. Die Entwicklung geriet aber in den letzten zwei, drei Jahren ins Stocken, das Defizit explodierte. Westungarn ist durch die gestiegenen Lohnkosten als Investitionsstandort nur mehr beschränkt attraktiv. Rejtö: "Ungarn benötigt ein Rebranding, muss sich bewegen, den Übergang zu einer Knowledge-based Society schaffen, seine Lage als Tor zum Balkan nützen." Jordan Koev: "Ungarns soziale Struktur ist nicht stabil, es gibt zehn Mio. Einwohner und 3,9 Mio. Arbeitnehmer. Davon 1,2 Mio. Staatsangestellte und 1,7 Mio. in solchen Unternehmen, die kaum Beiträge leisten. Nur eine Mio. Menschen arbeiten in soliden Unternehmen, die praktisch das ganze Sozialversicherungssystem finanzieren müssen. Die Ungarn kleben an ihren Jobs, die Jobmobilität ist sehr gering, die Bildung oft schlecht, es gibt wenige qualifizierte Arbeitskräfte. Als Ungar frage ich mich: Was bringt die EU? Mir scheint, die westlichen Länder wollen in den nächsten zehn bis 15 Jahren ihre eigenen Märkte sanieren. Nach dem Motto: Go east, und wenn du es hier nicht schaffst, weil der Markt gesättigt ist, go farther east! Ist das auch eine Perspektive für uns?" (Der Standard, Printausgabe 8./9.5.2004)