Innsbruck – Die geplante Aufhebung des Gletscherschutzes in Tirol sorgt noch in Bayern und Berlin für Aufregung. Der Deutsche Alpenverein (DAV) in München, politisch bisher zurückhaltend, äußert scharfe Kritik an der für Mittwoch geplanten Naturschutznovelle. "Leichtfertig und schändlich" werde mit Naturressourcen umgegangen", wettert DAV-Umweltreferent Stefan Witty. "Das ist ein Vordringen in die höchsten Gletscheretagen."

Die Tiroler Koalition aus ÖVP und SPÖ will mit FPÖ-Unterstützung neue "infrastrukturelle Anlagen" in Gletscherskigebieten erlauben, so diese "für den Tourismus von besonderer Bedeutung sind". Es liegen Projekte vor, die den Bau von Liften bis zu den höchsten Gipfeln der Ostalpen vorsehen – auch auf die 3536 Meter hohe Weißseespitze im Kaunertal, einem auffällig beweglichen Grenzberg zu Südtirol: Im Herbst 1997 versank nach einem Eissturz das Gipfelkreuz in einer Gletscherspalte.

"Ein Vorstoß in neue Dimensionen, gut 400 Meter höher als bisherige Gletscherskigebiete", warnt Peter Haßlacher, Naturschutzreferent des Österreichischen Alpenvereins. Der zweitgrößte Gletscher nach der Pasterze, der Gepatschferner, wäre betroffen. Dass nun auch die Deutschen Kollegen aufgeschreckt sind, findet er nur konsequent: Der DAV hat 130 Hütten in Tirol, das hintere Kaunertal gehört zur Sektion Brandenburg-Berlin.

Haßlacher spricht von "gigantischem Druck der Seilbahnindustrie", glaubt aber, dass "die Rechnung ohne den Wirt" gemacht worden sei. Die Novelle stehe im Widerspruch zum UVP-Gesetz, das Neuerschließungen von Gletschern verbiete. Zudem würden internationale Abkommen, wie die Ziele der Alpenkonvention und konkret beim Kaunertal auch ein Natura-2000-Gebiet, verletzt. (bs/DER STANDARD, Printausgabe, 11.5.2004)