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Konrad Paul Liessmann

Foto: APA/Pfarrhofer
Es schlägt für Philosophen nicht immer zum Besten aus, wenn sie den Seminarraum gegen das Feld der Praxis eintauschen. Allzu oft prallen die gewieftesten Reflexionen an ihren Gegenständen ab - zumal an solchen, die auf Zustimmung oder Einspruch gar nicht angewiesen erscheinen. Dass die Gesellschaft der Anleitung durch professionelle Denker bedürfe, werden selbst unrettbare Optimisten guten Gewissens nicht behaupten wollen.

Der Wiener Philosoph und Essayist Konrad Paul Liessmann, dessen Aufsatzsammlung Spähtrupp im Niemandsland soeben bei Zsolnay erschienen ist, liefert denn auch gar keine "Interventionen" ab. Sein unüberhörbar am Sound der Frankfurter Schule geschliffener Argumentationsstil blamiert mit der Wortwahl vom "Spähtrupp" die andere Option: den Begriff der allgegenwärtigen "Eingreiftruppe", die, womöglich auf dem Felde des "Diskurses" operierend, ihren Wortführer mit der Großspurigkeit ihres Auftretens rettungslos blamiert. Man wird Liessmanns stets detailgenaue Einlassungen auf Begriffe wie "Avantgarde", "Kultur" oder "Juvenilität" umso höher schätzen, als er den Ort seiner gedanklichen Arbeit nicht ein für alle Mal voraussetzt - sondern diesen Schritt für Schritt vermessend im Moment geduldiger Erkundung erst anfertigt.

Mit Gemeinplätzen ist in diesen Essays, die bisher großteils verstreut publiziert vorlagen, nicht zu rechnen. Dass Liessmann dort, wo er die historisch nachholende Perspektive gegenüber der blanken Behauptung vernachlässigt, gegebenenfalls auch zum Widerspruch reizt, liegt in der glücklichen Natur der Sache. Denn gerade der titelgebende Aufsatz über den allmählichen Transfer der klassischen Avantgarde in den Kulturbetrieb lässt mit einer gedanklichen Wendung aufhorchen, die einen erstaunen lässt.

In strikter Anlehnung an die Polemiken von Jean Clair und Eduard Beaucamp wiederholt Liessmannn den Vorwurf an die Adresse altehrwürdiger Futuristen und Expressionisten, dass diese im verheerenden Ausmaß den Lockrufen des roten wie des braunen Totalitarismus erlegen seien. Der Autor bedauert dies aufrichtig - und in der Tat wird man in den kunstverbrämten Mottenkisten des Futurismus und Bolschewismus Blendwerk zuhauf finden. Nun muss man aber auch keinen Entwicklungspfeil großspurig nachzeichnen, um festzustellen, dass für die Ahnherren des Fortschritts in der liberaldemokratisch verfassten Gesellschaft unserer Tage eben nicht das erstrebenswerte Ziel ihrer Hoffnungen gelegen haben mochte.

Destruktionswunsch

Schlimmer noch: Die seit Peter Bürgers Untersuchung sprichwörtliche Aufhebung der Trennlinie zwischen Kunst und gesellschaftlicher Realität war, in wohlwollender Betrachtung, auf eine beispiellose Entfesselung der Produktivkräfte gerichtet. Dieses gewiss auch verblendete Vertrauen in die Überwindung einer ganzen Gesellschaftsformation hat furchtbare Irrtümer, schlimmer noch: Katastrophen gezeitigt.

Es hieße aber in letzter Konsequenz auch, das Projekt der Moderne etwas schlicht abzutun, wenn man die Exzessfreudigkeit der Künstler von Gestern sozusagen auf mittlerer Temperatur abfertigt: Wenn man den Vorwurf an die Kunst bis herauf zum Wiener Aktionismus richtet, ihre zum Teil schockierenden Ein- und Ansichten nicht genügend lau hochgeköchelt zu haben. Nichtsdestotrotz bürgt Liessmanns Buch für ungetrübtes Vergnügen. Wie der kulturphilosophische Diagnostiker unsere ins Kraut schießenden medientechnologischen Verhältnisse bannt, um die Verwandlung des Subjekts in eine "Relaisstation" gallig zu feiern - das sucht seinesgleichen. Und wird es in Franz Schuh, mit dem Liessmann sein Buch am Dienstag diskutiert, auch gewiss finden. (Ronald Pohl/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11. 5. 2004)