"Dead Man Walking", sagen Spötter, wenn es um Geoff Hoon geht. Eigentlich müsste er längst zurückgetreten sein. Als der Lordrichter Brian Hutton den Selbstmord des Biowaffenexperten David Kelly unter die Lupe nahm, stritt Hoon ab, jemals gewusst zu haben, dass es sein Ministerium war, das den Namen Kelly der Presse zugespielt hatte. Nur die Gnade des überraschend regierungsfreundlichen Richters, der das Kabinett in seinem Untersuchungsbericht reinwusch, bewahrte den 50-Jährigen im Jänner vor dem Fall.

"Geoff Who?", sein Spitzname, bringt die gespielte Ahnungslosigkeit auf den Punkt. Jetzt gerät Hoon erneut in die Kritik. Wann hat er erfahren, dass seine Soldaten foltern? Und warum hat er bis heute geschwiegen?

Stein des Anstoßes ist ein Bericht des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz. Der Report, bereits im Februar verfasst, legt nicht nur den Amerikanern, sondern auch den Briten zur Last, gefangene Iraker misshandelt zu haben. Wie London bestätigte, waren auch drei Offiziere der Krone an den Verhören im berüchtigten Gefängnis Abu Ghraib beteiligt. Ob sie von den beschämenden Folterszenen wussten, ist bis dato eine offene Frage.

Aber auch in britischen Militärlagern im Südirak wurden offenbar Häftlinge gequält. Die Rede ist von neuen Fotos. Auf einem soll ein Mann nackt an einem Seil hängen, das Seil an einen Gabelstapler geknüpft. Ein Fotogeschäft in Staffordshire, das die Bilder im Mai 2003 entwickelte, alarmierte die Polizei. Kelly Tilford, eine Angestellte des Ladens, bekam einen Schock, als sie die Aufnahmen zum ersten Mal sah: "Sie waren so grausam, mir wurde einfach schlecht." Soldaten des Royal Regiment of Fusiliers, die mutmaßlichen Täter, sollen dafür vor ein Militärgericht gestellt werden.

Bisher drehte sich die Debatte im Königreich immer nur um Bilder eines malträtierten Irakers. Bilder, auf denen ein Uniformierter auf einen Wehrlosen uriniert und ihm mit dem Stiefel auf den Hals tritt. Sie waren vor zehn Tagen im Daily Mirror erschienen, und noch immer prüft die Militärpolizei, ob sie echt sind oder gefälscht. Jetzt aber rücken andere Fragen in den Mittelpunkt: Seit wann und wie oft hat die britische Armee Gefangene gepeinigt? Waren es Einzelfälle oder hatte die Folter System?

Amnesty International alarmierte Hoons Verteidigungsressort bereits vor einem Jahr. Nach den Worten eines Sprechers der Menschenrechtsorganisation hat es seitdem mehrere Gespräche und einen ausführlichen Briefwechsel gegeben.

Premier Tony Blair, in Sorge um seinen Ruf als Moralapostel der Irak-Koalition, trat indes die Flucht nach vorn an. Er entschied, den vertraulichen Rotkreuz-Bericht über die Gefängnisse der Besatzungsmächte zumindest auszugsweise öffentlich zu machen. "Es kann absolut keine Entschuldigung für die Misshandlung Gefangener geben", sagte Blair. "Wir haben britische Soldaten nicht in den Irak geschickt, um Menschenrechte zu verletzen, sondern um die Verletzung von Menschenrechten zu beenden." (DER STANDARD, Printausgabe, 11.5.2004)