Wien - "Ich bin ja ein relativ zynischer Mensch, aber das hat mich doch überrascht." "Das", worüber sich der Soziologe Michael Mann wundert, sind Meldungen der letzten Tage, wonach in den Trainingshandbüchern des US-und britischen Militärs unverblümt gelehrt werde, wie man Gefangene "unter Druck" setzt. "In meiner Naivität habe ich gedacht, dass wir in einer Welt leben, in der es eine transnationale Zivilgesellschaft gibt und die Genfer Konventionen doch bestimmte Wirkungen ausüben. Ich habe mich getäuscht." Immerhin darf Mann den bitteren Triumph genießen, die Hauptthese seines 2004 auf Deutsch erschienenen Buches "Die ohnmächtige Supermacht" (The Incoherent Empire) bestätigt zu sehen: dass nämlich "das Zeitalter des Empire" endgültig passé sei.

Mann, britisch-amerikanischer Doppelstaatsbürger, hat in Oxford studiert und lehrt an der University of California, in Yale und Cambridge. Sein Opus magnum ist eine mehrbändige "Geschichte der Macht", in welcher er die wechselnden Beziehungen von vier Machtsektoren - dem militärischen, dem wirtschaftlichen, dem politischen und dem ideologischen - historisch untersucht hat. Einen Hauptgrund dafür, warum sich die USA mit ihrem Post- 9/11-Unilateralismus so schwer tun, sieht Mann in der ungenügenden Balance dieser vier Bereiche. Dem überwältigenden militärischen Potenzial entspricht keine adäquate ideologische Verführungsmacht, wie sie sich neokonservative Denker für den Irak erträumt hatten.

Als weiteren Hemmschuh sieht Mann die ungenügende Kooperation mit der lokalen Bevölkerung. "Die britische Armee in Indien bestand zu drei Vierteln aus Indern, und die Polizei sogar zu 90 Prozent. Die Bush-Regierung zeichnet sich dagegen durch einen völligen Mangel an Sensibilität für die Bedürfnisse der Araber aus."

Wieso das so ist? Immerhin ist ja das Weiße Haus von Dutzenden "Thinktanks" umgeben, in denen sich ein einzigartiges Know-how zusammenballt. "Das ist richtig", meint Mann, "aber die meisten Thinktanks verfügen nicht so sehr über Expertisen zu regionalen Gegebenheiten, sondern beschäftigen sich mit Sicherheitsfragen. Das Thema Terror wird wiederum als eine rein technische Sache betrachtet. Die Ursachen lässt man außer Acht."

Und wie geht es mit Bushs Irakpolitik weiter? "Ich bin nicht immer ein guter Prophet", lacht Mann. "In der Ohnmächtigen Supermacht habe ich vieles richtig vorausgesagt, aber im letzten Herbst habe ich auch behauptet, dass Arnold Schwarzenegger die Wahlen in Kalifornien nicht gewinnen würde, und jetzt macht er sich ganz gut als Gouverneur. Ich glaube aber, dass die Situation im Irak inzwischen so verfahren ist, dass nicht einmal die UNO etwas ausrichten könnte, vorausgesetzt, dass ihr die US-Regierung überhaupt entsprechende Befugnisse einräumt. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass wir einfach besiegt werden." Danach, meint Mann, sei nach den hochfliegenden neokonservativen Gestaltungsplänen wohl eine Rückkehr zur altgewohnten Geopolitik angesagt.

Mann meint, dass auch sein persönliches Misstrauen gegen Politiker mit utopischen Versprechungen gewachsen sei. "Dafür habe ich den pragmatischen Stil in der Politik umso mehr schätzen gelernt, jenen Stil, wo man sich um Kompromisse bemüht, auch wenn man diese Kompromisse hin und wieder mit einem schmutzigen Hintertreppendeal einfädeln muss." (DER STANDARD, Printausgabe, 11.5.2004)