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Auch die Produktion von Kondomen wird in China verstärkt. Die rasche Ausbreitung von Aids lässt die Regierung zu allen möglichen Gegenmaßnahmen greifen.

Foto: Reuters/WILSON CHU

Die seit Jahren von der Regierung in Peking politisch heruntergespielte und in ihren Ausmaßen verharmloste Aidskatastrophe ist in China zu einer solch gigantischen Bedrohung geworden, dass sich die Führung zum Handeln gezwungen sieht.

"Aids breitet sich weiter mit raschem Tempo aus", heißt es in einem zwölfseitigen Erlass des Staatsrats, der auch davor warnt, dass die Epidemie von Risikogruppen auf Menschen außerhalb dieser Gruppen überspringt. Gegenmaßnahmen seien bisher zu schwach, wirkungslos und ungenügend geblieben.

Unwissende Bauern

Schwerpunkt der Aufklärungskampagne sind das Agrarland und seine 800 Millionen unwissenden Bauern. Die Massen der zwischen Stadt und Land pendelnden Wanderarbeiter sorgen für rasche Verbreitung der Krankheit innerhalb dieser Sozialgruppe. Der Staatsrat will falsche Scham oder Verschweigen nicht mehr tolerieren. Zur Vorbeugung muss nun die Abwehr von Aids und der richtige Umgang mit Blutspenden in die Lehrpläne aller Mittelschulen aufgenommen werden. Die Regierung droht den Provinzführern - besonders in Gegenden mit hoher Ansteckungsrate - schwere Strafen an, wenn sie die Gesundheitskampagne nicht mittragen: "Von jetzt an findet dazu jedes Jahr eine Inspektion des Staatsrats statt."

Die Polizei soll zudem die grassierende Prostitution und Drogensucht bekämpfen, zwei Ursachen der rapiden Zunahme von Ansteckungen. HIV-infizierte Gefängnisinsassen müssen getrennt untergebracht werden.

Die UNO hatte Chinas Führung bereits im Vorjahr vor afrikanischen Verhältnissen gewarnt. Vizegesundheitsminister Gao Qiang gab daraufhin erstmals eine Million Aidsfälle zu; 160.000 Gestorbene und 840.000 noch lebende Infizierte.

Wirtschaftsgefährdend

Forscher Jing Yin von der Universität Qinghua spricht von einem drohenden "Megakollaps". Wenn das Tempo der Ansteckung nicht gebrochen, Unkenntnis und Diskriminierung nicht überwunden würden, müsse China bis 2010 mit elf Millionen Infizierten, darunter acht Millionen Bauern, rechnen. Die Krise hätte das Potenzial, Chinas wirtschaftliche Erfolgsstory zu zerstören.

Die chinesische Regierung geht für die Aidsbekämpfung nun auch Bündnisse mit bisher Verfolgten ein. Aktivisten aus den Risikogruppen der Homosexuellen dürfen bei der neuen Kampagne mit dabei sein. Und das Staatsfernsehen CCTV kürte die 77-jährige Ärztin Gao Yaojie zum nationalen Vorbild. In den 90er-Jahren hatte sie einen Hunderttausende Bauern mit Aids infizierenden illegalen Bluthandel in der Provinz Henan aufgedeckt und war dafür von den lokalen Behörden lange schikaniert worden. (DER STANDARD, Printausgabe 11.05.2004)