London/Paris/Rom - Die Probleme der USA im besetzten Irak und die Auswirkungen des Misshandlungsskandals stehen auch am Donnerstag wieder im Mittelpunkt europäischer Pressekommentare:

"Financial Times" (London):

"Jetzt ist unbedingt eine wirkliche Internationalisierung notwendig. Dies bedeutet mehr, als die Vereinten Nationen und die NATO um Hilfe zu bitten. Tatsächlich bedeutet es, die echte Macht und Verantwortung an eine von den Vereinten Nationen autorisierte internationale Mission und an eine von der NATO geführte Sicherheitstruppe zu übergeben. (...) Wir müssen darauf hoffen, dass die abscheulichen Misshandlungsfotos den Schock der Erkenntnis auslösen, der für einen drastischen Kurswechsel nötig ist."

"Le Monde" (Paris):

"Die jetzige Situation im Irak zeigt erneut die Sackgasse, in die sich die Regierung Bush hineinmanövriert hat. Mit dem Sturz Saddam Husseins wollte die amerikanische Regierung die Weltherrschaft der USA im Namen der universellen Wertvorstellungen festigen, für die Amerika einsteht. Doch dafür würde die erste Weltmacht eine klare Strategie für die Nachkriegszeit im Irak brauchen. Außerdem stehen die US-Soldaten in der Pflicht, die moralischen Werte einzuhalten, die die USA zu schützen vorgeben. In diesen beiden Punkten ist bis heute nichts erreicht worden. Die Kampfhandlungen im Irak sind eine Bedrohung für die ganze Welt. Und die Welt sollte mit Hilfe der Vereinten Nationen die Verantwortung dafür übernehmen".

"Liberation" (Paris):

"Die Barbarei, zu der sich Bergs (die enthauptete US-Geisel, Anm.) gesichtslose Schlächter bekannt haben, ist nicht mit der brutalen und zuweilen mörderischen Dummheit der Wächter in Abu Ghraib zu vergleichen. Sie entschuldigt sie auch nicht. Die Bilder aus dem Gefängnis sind das Symptom eines Übels, das die Demokratien befällt, aber auch ein Gegenmittel. Die der Enthauptung aus blindem Hass sind eine Waffe, die ausschließlich die Förderung des Hasses zum Ziel hat. Nur eine mentale und politische Verwirrung kann in Bushs verheerender Politik irgendeine Rechtfertigung dieses Schreckensvideos sehen. Die Kritik der US-Politik muss von der Verurteilung eines Terrorismus begleitet werden, den man ohne Unterlass und Schwäche bekämpfen muss."

"Corriere della Sera" (Mailand):

"US-Präsident Bush scheint entsetzt über die Enthauptung der Geisel Nicholas Berg, ein Ereignis, das eine schmerzliche Debatte in Amerika eröffnet. Der Präsident hat sich zwar die Fotos der Folterungen der irakischen Gefangenen angeschaut, aber er fühlte sich nicht danach, das Video über die grausame Enthauptung anzusehen. Die Grausamkeit der Terroristen im Irak hat seine Entschlossenheit nur verstärkt. (...) Die unausgesprochene Furcht im Weißen Haus ist jedoch die: Falls sich Fälle wie die Enthauptung Bergs häufen sollten und die amerikanischen Truppen immer mehr zur Zielscheibe der Terroristen und der irakischen Widerstandsgruppen werden, dann könnte dies auch zu einem weiteren Rückgang der Popularität Bushs in den Umfragen führen."

"Süddeutsche Zeitung" (München):

"Guantanamo und Abu Ghraib - ganz gezielt setzen die Killer ihre Untat visuell in einen direkten Bezug zu Verfehlungen der Amerikaner. Das ist faktisch falsch, denn erstens kann niemals durch Gewalt Gleiches mit Gleichem vergolten werden. So schlimm die Misshandlungen und so unrechtmäßig die Haftbedingungen auch sind, können sie nicht als Rechtfertigung für einen Mord herhalten. Und zweitens ist die pseudo-moralische Rechtfertigung heuchlerisch, weil solche Grausamkeiten schon praktiziert wurden, als in Abu Ghraib noch Saddam Hussein und nicht eine fehlgeleitete US-Soldatin folterte."

"Berliner Zeitung"

"Die moralische Katastrophe, die die Regierung der Vereinigten Staaten in diesen Wochen erleidet, hat viele Gesichter. Eines gehört einem Sprecher des Weißen Hauses, der den Mord an Nick Berg mit den Worten kommentierte: 'Sie haben keinen Respekt vor dem Leben unschuldiger Männer, Frauen und Kinder.' Die Katastrophe besteht darin, dass jeder irakische Bürger diese Worte ohne weiteres bestätigen würde. Nur würde er dabei derzeit weniger an die Terroristen denken, als vielmehr an die Soldaten der amerikanischen und britischen Armee."

"Neue Presse" (Hannover):

"Seit Tagen wird die Weltöffentlichkeit mit immer neuen Gräueltaten konfrontiert. Zu Menschenbergen getürmte nackte Iraker vor grinsenden Amerikanern. Ein Gefangener, der von einer US-Soldatin wie ein Hund an der Leine über den Gefängnisflur gezogen wird. Ein achtjähriges irakisches Mädchen, das von einem britischen Soldaten erschossen wird. Ein enthaupteter junger Mann, der zum Helfen in den Irak gekommen war. (...) Nur eines ist sicher: Dieser Krieg hat, wie so viele andere vor ihm, die normalen Maßstäbe der Zivilisation vernichtet. Es gibt keine Vernunft mehr, keine Moral und keine Menschlichkeit. Und gibt auch keinen Trost."

"Svenska Dagbladet" (Stockholm):

"Die Politik muss in zentralen Punkten mit Symbolwert von solchem Kaliber sein, dass sie die Brandmauer von Misstrauen durchbricht. Kurz gesagt muss es eine Politik mit kräftigem Demonstrationseffekt sein. (...) Um festgefahrene Vorstellungen aufzubrechen, kann man den Irak nicht isoliert betrachten. Der Konflikt zwischen Israel und Palästina bekommt als Problemkomplex immer größere Bedeutung bei der Erzeugung von Misstrauen gegen die USA. Die USA sollten den Irak verlassen, aber nicht im Stich lassen." (APA)