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Foto: Reuters/CLARO CORTES IV
Das OECD-Treffen Ende dieser Woche in Paris nimmt die Europäischen Union zum willkommenen Anlass, der Öffentlichkeit ihre Verhandlungsbereitschaft und Beweglichkeit zu veranschaulichen.

Der Brief der EU-Kommissare Pascal Lamy und Franz Fischler an alle Handelsminister der WTO-Mitgliedsländer zu Beginn dieser Woche hat für internationale und EU-interne Aufregung gesorgt.

Lamy und Fischler kündigen in diesem Schreiben "weitreichende Zugeständnisse in der Landwirtschaft" an. Medien berichten bereits vorschnell von einer "Wiederbelebung der WTO-Verhandlungen". Doch bei genauerem Hinsehen entpuppt sich die Aktion als unverschämter PR-Gag und der Brief als ein "unmoralisches Angebot".

Von der EU darf man gar nicht sprechen, denn Frankreich, Irland und Belgien haben das Vorgehen von Lamy/Fischler scharf kritisiert und sie an die gemeinsame Agrar-Agenda und sein Verhandlungsmandat erinnert.

Aber die Zeit drängt, denn gemeinsam mit den USA will die EU im Juli noch einen Verhandlungserfolg erzielen, in dem ein Rahmenabkommen für Landwirtschaft und nicht-landwirtschaftliche Produkte unterzeichnet wird.

Lamy wird die Kommission bald verlassen und möchte nach dem Debakel in Cancún nochmals einen Achtungserfolg erzielen. Und die europäische Industrie sitzt ihm dabei im Nacken, denn sie will nicht mehr lange auf neue Märkte warten.

Was bisher geschah

Auf der WTO-Ministerkonferenz in Doha wurde eine "Entwicklungsrunde" beschlossen, um die strukturelle Benachteilung der Länder des Südens zu beenden. Wie von vielen zivilgesellschaftlichen Gruppen vorhergesagt, ist die Bezeichnung "Entwicklungsrunde" eine Beschönung der weiteren massiven Liberalisierungsvorhaben der EU und der USA in der Landwirtschaft, im Dienstleistungssektor und bei Industrieprodukten.

Viele Entwicklungsländer haben dieses Vorhaben erkannt und begonnen, neue Allianzen zu bilden. Die Ministerkonferenz in Cancún vergangenen Herbst scheiterte letzten Endes an der Forderung der EU, zu allen vier Singapur-Themen (Handelserleichterung, öffentliches Beschaffungswesen, Investitionen und Konkurrenzrecht) Verhandlungen aufzunehmen, sowie an der Unwilligkeit der USA und EU, auf zentrale Forderungen der Entwicklungsländer im Agrarbereich einzugehen.

Das Projekt der beiden Großmächte ist weiterhin, ihre Märkte möglichst zu schützen und im Gegenzug dazu die Märkte der Entwicklungsländer maximal zu öffnen. Seit dem Scheitern von Cancún versuchen die EU und die USA, das angekratzte Image der Verhandlungsblockierer abzustreifen.

Inhaltlich haben sich die Positionen der beiden kaum geändert. Mit einer entsprechenden Öffentlichkeitsarbeit versuchen sie nun, die Entwicklungsländer als völlig kompromisslos aussehen zu lassen, um dadurch Zugeständnisse von diesen zu erreichen und ihnen im Falle eines weiteren Verhandlungsstillstandes den schwarzen Peter zuzuschieben.

"Deal-Breaker" Landwirtschaft

Bisher hielten es vor allem die EU und die USA nach dem Motto: "You liberalize, we subsidize". Mit dem Landwirtschaftsabkommen innerhalb der WTO haben beide Big Players das Dumping von landwirtschaftlichen Produkten (deren Verkauf unterhalb der tatsächlichen Produktionskosten) quasi legalisiert und das rasche Voranschreiten einer industriegetriebenen Landwirtschaft vorangetrieben.

Die Entwicklungsländer können sich gegenüber diesen Billigstprodukten immer schlechter schützen. Denn nicht nur die WTO, auch die Weltbank und der internationale Währungsfonds zwingen sie zu einem kontinuierlichen Abbau ihrer Schutzzölle, dem einzigen Schutzinstrument, das ihnen zur Verfügung steht.

Die Folgen dieser Politik ist die Vertreibung von Millionen von Kleinbauern und -bäuerinnen von ihrem Land und ihrer Tätigkeit in Armut und Beschäftigungslosigkeit, sowie die Förderung einer intensiven, industrialisierten Landwirtschaft, die auf soziale oder ökologische Interessen keine Rücksicht nimmt.

Mit ihrer jüngste Ankündigung versucht die EU zu suggerieren, dass sie alle Exportsubventionen abbauen wird. Bei genauerem Hinsehen sind daran aber mehrere Bedingungen geknüpft: zum einen ist die EU nur bereit dies zu tun, wenn die USA und andere wichtige Player parallel dazu ihre Exportsubventionspraxis ändern.

Zum anderen wird die EU dieses Angebot nur dann konkretisieren, wenn die Entwicklungsländer im Bereich des Marktzugangs und bei lokalen Subventionszahlungen ein der EU genehmes Angebot machen. Die EU ist somit nicht bereit, die seit Jahren kritisierte Praxis der Exportsubventionen mit denen die europäische Überproduktion in die Weltmärkte gedumpt wird, abzuschaffen.

Sie will für das Ende dieser unfairen Praxis die weitere Öffnung der ohnehin schon verletzlichen Märkte der Entwicklungsländer. Im Hinblick auf die Marktöffnung beharrt die EU weiterhin - wie auch die USA - auf der sogenannten "gemischten Formel".

Laut diesem Ansatz sollen die Zollreduktionen nach in drei Kategorien aufgeteilt werden, mit jeweils verschiedenen Berechnungsmethoden. Dank dieser ausgetüftelten Formel - deren spezifischen Zahlen erst in einem zweiten Schritt verhandelt würden - könnten die EU und die USA zum einen ihre "sensiblen Produkte" (im Falle der EU z.B. Rindfleisch, Zucker und Milch ) schützen und zugleich ihre offensiven Interessen - den massiven Abbau von Zöllen in Entwicklungsländern - erreichen.

Mit dieser Formel würden Entwicklungsländer aufgrund der spezifischen Struktur ihrer Zölle jedenfalls eine durchschnittliche größere Zollreduktion erreichen, als entwickelte Länder.

EU insistiert weiter auf Singapur-Themen

Trotz des massiven Widerstands von mehr als 90 Entwicklungsländern insistiert die EU weiterhin auf der Behandlung der Singapur-Themen in der WTO.

In einer unerhörten Weise machen die Kommission und die Mitgliedsstaaten heute der europäischen Öffentlichkeit weis, dass die EU in diesem Bereich massive Zugeständnisse gemacht hätte, obwohl diese Themen nie Teil der Doha-Verhandlungsrunde waren.

Das Gegenteil ist der Fall. Entwicklungsländer haben Flexibilität gezeigt, in dem sie sich nunmehr vorstellen können, u.U. im Bereich der Handelserleichterung ein internationales Abkommen zu verhandeln.

Entwicklung in der Doha-Runde nichts mehr als eine leer Hülse

Die Haltung der EU illustriert einmal mehr, dass das Wort Entwicklung inhaltslos ist und für die eigenen Interessen missbraucht wird. Die EU ist nur unter einer Reihe von Bedingungen bereit, ihre handelsverzerrende Praxis (ich glaube, man kann das gut als eine Praxis bezeichnen) abzubauen.

Erkenntnisse und Erfahrungen mit der massiven Öffnung der Märkte der Entwicklungsländer und deren Folgen werden nicht in Betracht gezogen. Es gilt weiterhin und ungehindert das Motto: Freihandel ist jedenfalls für alle gut und führt zu Wachstum, Wohlstand und Reichtum.

Und einmal mehr versucht die EU, ihre Interessen in der WTO mit der altbekannten Taktik "Teile und Herrsche" durchzusetzen. Denn die neuen Allianzen der Entwicklungsländer machen beiden Mächten zunehmend zu schaffen. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Entwicklungsländer von den fadenscheinigen Angeboten der EU und von den USA nicht blenden lassen.

Nachlese

--> Paris im Herbst - Frühling für Europa --> Wer besitzt Prestige? --> Wachstum gegen die Wand? --> Die Verteidiger Bartensteins arbeiten ohne Beweise --> Feministische Voest-Gedankensplitter --> Standpunkt zum Standort --> Öffentliche Beihilfe zum Steuerschwindel --> Vollbeschäftigung ist aus, ... --> In die Krise steuern --> Für die Gesunden wird's billiger --> EU: Wasser ist Ware - und sonst nichts --> Der Preis des langen Lebens --> Schenkungssteuer für alle --> Brennpunkt Brennerautobahn --> EU-Zinsregelung: Kuhhandel mit Folgen --> Gentech: WTO gegen Demokratie --> Mit uns ist zu rechnen --> Vergessene Schrauben der Pensionen --> Gender im neuen Budget --> Venezuela: Erstes Land mit Tobinsteuer --> Die geraubte Wunschfigur --> Haftung für Diktaturen --> Wege aus der Schuldenkrise --> Synergien für Renditejäger --> Bankgeheimnis und Globalisierung --> Das schwarze und das blaue Gold --> US-Kriegslogik: Lokal denken, global handeln --> GATS oder der Angriff auf die armen Länder