Roland Schönbauer Das Naturerlebnis der libyschen Sahara und die steinernen Zeugen mehrerer Hochkulturen entschädigten schon bisher für den Umweg über Tunesien. Leptis Magna etwa, die reichste römische Stadt Nordafrikas mit fresken-bestückten Thermen, Theater und Hafen, läßt Karthago und Co. alt aussehen. Wie ein paar Wanderdünen den Kleinbus auf den ersten Fahrtstunden in der Sahara. Ein Geländewagen muß her. Auch die Bauweise will an Sand und Sonne angepaßt sein.

In der Karawanenstadt Ghadamés dringen nur alle zehn Meter Luft und Licht durch eigene, weiße Schachte in die überbauten Gassen. Heute hat keiner mehr was von dieser genialen Konstruktion. Denn schon vor 15 Jahren ließ hier Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi jeden Libyer mit einem festen Haus samt Wasser und Strom beglücken. Ghadamés wurde zur Geisterstadt.

Gelegentlich taucht noch ein Alter aus dem Stockdunkel einer Seitengasse auf, lautlos auf dem weichen Sand stapfend, und verschwindet gleich wieder um die nächste Ecke. Wohl um das verbliebene Vieh zu versorgen. Über kindskopfgroße schwarze Steine schaukelt der Landcruiser in den ausgetrockneten Wasserlauf Waddi Mathendoush. Hier warten Giraffen, Elefanten und Krokodile, freilich nur aus Stein. Wahrscheinlich ein Werk von Jägern vor 8.000 bis 10.000 Jahren. Ob Kreativ-Workshop oder Kultstätte - wer weiß das schon genau?

Wenige Kilometer weiter liegen im Schatten gelber Felsabbrüche Hunderte versteinerte Schnecken, Muscheln und Seesterne. Mit dem feinen Staub in der Nase, dem salzigen Schweiß auf den Lippen und der stechenden Sonne in den Augen ein fast unvorstellbarer Gedanke: Hier war einmal ein Meer! Wie zum Beweis seiner Fähigkeiten läßt der Himmel Hagelkörner auf den Geländewagen prasseln, dann Sturm und minutenlanger Regen. Das macht die Azzallaf-Dünen, sonst ein malerischer Gebirgszug aus kleinen Sand-Tälern, Talkesseln und Nebentälern selbst für erfahrene Allrad-Piloten wie Jahjah (sprich: Jachjah) zur Hürde. Nassen Sand ist er wohl ebenso gewohnt wie unsereins glühend-weichen Asphalt. Erst beim zweiten Versuch, mit viel Schwung und Vollgas, bringt er den mit Couscous und Cola schwer beladenen Wagen den steilen Dünenhang ganz hinauf. Im sicheren Abstand dahinter Warten auf das andere Fahrzeug. Minute um Minute vergeht. Endlich taucht es am Dünenkamm auf, aber mit zuviel Schwung! Der Allradler hebt ab, liegt einen Moment lang in der Luft und plumpst schließlich auf den sandigen Abhang, die Köpfe einiger Insassen peppeln kurz am Autohimmel auf. Jaja, Tür - Gurt - Start bei jeder Fahrt! Am nächsten Morgen läßt der Sonnenaufgang aus den Sandmassen sanft runde, weiche Züge hervortreten. Jeder Schritt in dieser atemberaubend stillen Schönheit verlangt nach einem weiteren, der die nächste Welle, ein weiteres Dünental eröffnet.

Außerhalb der Dünen zeigt sich die Wüste von ihrer ödesten Seite: flach, beige-grau, todlangweilig. Jahjah orientiert sich auch nun nach dem Sonnenstand. Nur auf den anderen Wagen warten kann er nicht mehr. Im Weichsandfeld gibt's nur eins: Vollgas und durch! Nach einer zur Waschrumpel gepreßten Piste kündigt schwarze Asche auf gelbem Sand einen Vulkankegel an. Vom Rand des "Waw an Namus", zu deutsch "Mückenkrater", dann ein ungewohnt buntes Bild: rund um einen kleineren Krater kleine Seen in blau, türkis, mittelbeige und rot, dazu Palmenhaine, Schilfgürtel und Salzpfannen. Ausgerechnet hier am Ende der Welt tummeln sich Singvögel und exotische Enten in schillernden Farben. Kein Zweifel: Die Wüste lebt.

© DER STANDARD, 2. Juli 1999 Automatically processed by COMLAB NewsBench