Braut und Bräutigam (Julia Kreusch, Sebastian Reiß)

Foto: Schauspielhaus/Manninger
Graz - Elias Canettis Bühnenerstling Hochzeit (1931/32) ist der sperrhölzerne Albtraum jedes treu sorgenden Bühnenmeisters. Am Schluss - Canettis genialische Scharteke pfeift da schon längst aus dem letzten Sprachloch - hat sich eine sexlüsterne Wohngemeinschaft mit Hang zu angewandter Menschenverachtung derart Unrat spuckend in den eigenen Untergang hinübergewirtschaftet, dass der Mietwohnbau der alten Gilz in sich zusammenstürzt. So steht es bei Canetti untergangslüstern und leider etwas unbekümmert hingeschrieben.

Im Grazer Schauspielhaus, wo das Regiepaar Deborah Epstein und Marcus Mislin aus Anlass des "8. Österreichischen Theatertreffens" die Hochzeit brav vom Aushangblatt der bürgerlichen Doppelmoral herunterliest, klappt die Rückwand der Bühnenschachtel nach vor. Das macht zwar einigen Wind, doch die einstürzende Wand begräbt auch nicht diese schockierend triebhaften Faune unter sich.

Vorher konnte man sich über die Kraftanstrengung eines 26-köpfigen Ensembles freuen. Matthias Fontheim, der abgangswillige Theaterchef der famos aufgepulverten Länderbühne, hat während vier Jahren Schauspieler wie geschliffene Edelsteine zusammengetragen - und Lokalheroen wie Gerti Pall, Ernst Prassel oder Otto David zum Mitglitzern bewegt.

Diese Inszenierung der Hochzeit wird bestimmt nicht in die Grazer Annalen eingehen. Dazu ist sie zu breit, zu behäbig - und vor allem zu biedermannsbunt erzählt. Nach dem berühmten "Vorspiel", einer etwas steifen Typenparade quer durch die Wohnwaben eines Gründerzeithauses mit Einschlag ins Gelsenkirchener Barock (Bühne: Florian Barth), sieht man fettbäuchige Gewaltanwender und spukhaft alte Kinderschänder vor Edelholzpaneelen quasi gesellschaftstanzen.

Nymphomaninnen aller Klassen und Grade winden sich über das Parkett (Monique Schwitter, Martina Stilp). Die kirrende Brautmutter (Frederike von Stechow) verlustiert sich mit dem Bräutigam (Sebastian Reiß), einer Karikatur auf dem schmalen Hochgrat zwischen Draufgehen und Reißausnehmen.

Zurückgebliebene Kinder werden im Volksliedton geschändet - eigentlich eignete sich Canettis Totentanz ganz prächtig zur Befragung eines Freiheitsbegriffs, der die eigene Lust an der Ausbeutung der Mitmenschen festmacht. Nur die Grazer Produktion hält sich da lieber bedeckt. Und singt einer Gesellschaft das Schlaflied, die schon zugrunde gegangen ist: Die Inszenierung schnarcht mit. (DER STANDARD, Printausgabe, 17.5.2004)