Wie macht man die Europäische Union bürgernäher? Und wie bringt man die Leute dazu, am 13. Juni zur Europawahl zu gehen? An diesen Fragen beißen sich Politiker und Journalisten schon des Längeren die Zähne aus. Für die Damen und Herren EU-Korrespondenten hätte ich einen Tipp: Berichtet doch nicht immer nur über "unsere Leute" in Brüssel. Beschreibt und filmt auch die Männer und Frauen, die dort die wirkliche Europapolitik machen. Zeigt uns Menschen, nicht nur Paragrafen.

Wen der Weg nach Brüssel führt, den kann der Anblick des gewaltigen Unionsapparats schon ein wenig einschüchtern. Diese riesigen Gebäude - das Kommissionshaus: ein Ozeandampfer mit Gitterfenstern; das Ratsgebäude: ein Marmorklotz wie der Ostberliner Palast der Republik; das gläserne Parlament: eine Art gigantisches Palmenhaus! Die endlosen Gänge und Riesensäle, die Leuchttafeln mit den Sitzungsthemen - von Interpol bis Schienenstrang! Alles ziemlich abstrakt. Viel Arbeit wird hier geleistet. Aber um sie für europäische Normalbürger begreifbar zu machen, muss man ihr wohl ein menschliches Gesicht geben.

Gesicht von Fischler

Für die Österreicher ist das Gesicht der EU Kommissar Franz Fischler. Ein Glück, dass es ihn gibt. Er wird meistens als "unser Mann in Brüssel" interviewt, aber was er dann in seinem beruhigenden Tiroler Bass zum Besten gibt, ist oft das Einzige an gesamteuropäischem Geist, das man als einheimischer Durchschnittsbürger zu hören bekommt. Es gibt aber auch noch andere Kommissare und Kommissarinnen - meist auch gescheite Leute, die für uns ebenso wichtig sind, von denen man aber kaum die Namen kennt. Noch weniger weiß man, wer sie sind und was sie machen, obwohl sie über unsere ureigensten Angelegenheiten mehr zu reden haben als unsere eigenen Regierungsmitglieder. Wie sollen wir europäisches Bewusstsein und Interesse an europäischen Wahlen entwickeln, wenn wir nicht einmal die handelnden Personen kennen?

Nicht "mit einer Stimme"

Heimische Leitartikler klagen oft darüber, dass Europa "nichts weiterbringt", dass es nicht mit einer Stimme spricht und die Politiker nationale über europäische Interessen stellen. Aber diese sind eben oft Gefangene der öffentlichen Meinung daheim. Wenn sie in Brüssel sind, sagen Beobachter, reden sie anders, verhalten sich europäischer und oft auch vernünftiger als vor den Mikrofonen im eigenen Land. Das viel geschmähte Brüssel hat offenbar eine europäisierende und internationalisierende Wirkung auf alle, die es betreten.

Weltoffenheit

Das gilt auch für Beamte und Abgeordnete. Schon mancher - auch aus Österreich - ist als engstirniger Provinzler hinein- und als weltoffener Europäer wieder herausgekommen. Etwas von dieser Wirkung sollten auch die Wähler zu Hause zu spüren bekommen. Muss sich die Europadebatte wirklich auf Spesengelder, Transit und Subventionen beschränken? Gibt es nicht hundert andere Themen, die den ganzen Kontinent und damit auch uns betreffen, über die wir Bescheid wissen sollten? Ist Europas Hauptstadt nicht voll von faszinierenden Menschen, die kennen zu lernen sich lohnte?

Europapolitik ist nicht sexy, aber Menschen schon

Wenn demnächst ein ganzer Schwung neuer Kommissare ihre Posten bezieht, sollten sie uns nicht allesamt vorgestellt werden? Gehört es nicht auch zur Demokratie, dass wir wissen, wer von unseren Vertretern gut ist und wer abgelöst gehört? Europapolitik ist nicht sexy, heißt es oft. Damit kann man keine Quote machen. Ja, stimmt. Aber Menschen, auch Europapolitiker, sind (oft) sexy. Was wir brauchen, ist Europa mit einem menschlichen Gesicht. Oder besser: mit vielen Gesichtern. (DER STANDARD, Printausgabe 17.5.2004)